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Sieben auf einen Streich

Sieben auf einen Streich

Titel: Sieben auf einen Streich
Autoren: Amei Müller
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Familienmitglieder quollen heraus. Das Bürschlein burrte umher wie
ein gefangener Maikäfer, prallte hier gegen eine Tante und dort gegen einen
Onkel und hielt mit beiden Händen die rutschende Schlafanzughose fest. Stefan
fing seinen Sohn ein und drückte ihn an sich.
    »Komm, Wubbel, niemand darf dir was
zuleide tun!«
    Und mit einem finsteren Morgenblick auf
seine verschlafenen Schwestern und Brüder, Schwägerinnen und Schwäger: »Wie
könnt ihr das arme Kind so erschrecken, das hätte ich nicht von euch gedacht!«
    Zum Glück erschien nun der Herr und
klärte die Lage mit lauten und zornigen Worten, bis sein Blick auf Fränzchen fiel.
Sie hockte neben Wubbel auf dem Boden und steckte ihm mit einer
Sicherheitsnadel das Höschen fest.
    Fränzchen verbrauchte Unmengen von
Sicherheitsnadeln. Sie pflegte damit schon als Kind ihre Kleidung vorteilhaft
zu verändern, die Taille enger zu stecken, den Rocksaum höher.
    »Fränzchen, ich bitte dich!« flehte
meine Mutter. »Ein ordentliches Mädchen tut so etwas nicht. Gib mir das Kleid,
ich nähe dir den Saum hoch.«
    »A wo, unnötige Arbeit! Er hält auch
so.«
    Waren gerade keine Sicherheitsnadeln
zur Stelle, so griff sie in der Not zu Wäscheklammern, Haarspangen oder
Stecknadeln, mit welch letzteren sie jedoch nach einem schmerzlichen
Mißgeschick nur noch sparsam umging. Da war sie aufgebrochen zum Rendezvous.
Das schlubbelig-schlabbelige Kleidchen von einem Gürtel zusammengehalten, der
mit Stecknadeln am Kleid befestigt war, damit er nicht verrutsche. Der
liebevolle Freund nahm sie in Empfang und in die Arme, wich jedoch nach kurzer
Umarmung von ihr, denn eine Stecknadel war ihm tief ins Fleisch gedrungen. Trotz
Fränzchens Unschuldsbeteuerungen, trotz Tränen und Schniefen wollte er zu
keiner weiteren Umarmung schreiten und hielt Fränzchen für boshaft und
gefährlich, so daß die Freundschaft in die Brüche ging.
    Nun also steckte sie dem Wubbel das
Höschen fest. Man sah nur wenig von ihr unter der aufgelösten braunen Haarflut,
aber schon das wenige ließ den Herrn verstummen. Er klappte den Mund zu, drehte
sich um und tappte zurück in sein Zimmer. Die Familie trat ebenfalls den
Rückzug an. Andreas und Mathias nahmen das weinende Zwerglein zu sich ins Bett,
und Ruhe hätte einkehren können, wären nicht die meisten Ehepaare mit dem
Aufarbeiten ihrer nächtlichen Ärgernisse beschäftigt gewesen.
    Auch Manfred und ich hatten
Schwierigkeiten miteinander. Ich war wieder ins Bett gekrochen, einzig beseelt
von dem Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden und dem Tag noch ein paar Minütchen
abzuschlafen. Manfred aber stand vor dem Waschbecken, rang abwechslungsweise
Hände und Handtücher und tat dies leider keineswegs schweigend. Nein, er fragte
sich und mich zum wiederholten Male und mit dringlich erhobener Stimme, wie
denn ein denkender Mensch die Handtücher ins Waschbecken unter den tropfenden
Hahn legen könne und womit, um alles in der Welt, er sich jetzt abtrocknen
solle?
    Daß der Hahn tropfte, hatte ich zu
meinem Leidwesen schon in der Nacht bemerken müssen. Er tat dies dumpf und
stetig, und das Geräusch marterte meine Ohren. Also kroch ich aus dem Bett,
tappte zum Waschbecken und drehte am Hahn, bis meine Hände erlahmten. Kaum legte
ich den müden Kopf aufs Kissen, da fing es wieder an. So lag ich und lauerte
und wartete auf den nächsten Tropfen. Mein Kopf dröhnte, und meine Nerven
drohten zu zerreißen, derweil Manfred sanft schlafend vor sich hin
schnorchelte. Wollte ich diese Nacht unbeschadet überstehen, dann mußte ich ihn
wecken, so weh es mir tat.
    »Manfred, der Hahn tropft!«
    »Dreh ihn ab!«
    »Hab’ ich schon. Er geht nicht!«
    »Dann kann ich auch nichts machen!«
Sprach’s, drehte sich um und schlief weiter. In meiner Verzweiflung polsterte
ich das Waschbecken mit Handtüchern aus. Es gab nur zwei für uns in dieser
rustikalen Herberge, und so konnte es geschehen, daß wir morgens eines
trockenen Handtuches ermangelten und Manfreds lautstarke Proteste meinen
ohnehin schmerzenden Kopf peinigten.
    »Hör auf zu zetern, Manfred, bitte! Hol
dir ein Handtuch von Andreas und Mathias, die kommen gut mit einem aus.«
    Er ging. Ich atmete auf und hoffte, er
würde lange fortbleiben. Aber nein, schon stand er wieder vor meinem Bett, zog mir
die Decke vom Kopf, damit ich seines Jammers auch gänzlich gewahr würde, und
hielt die Hände leer und anklagend in die Höhe.
    »Sie haben Mäuse aus ihren Handtüchern
geknotet, werfen sie im Zimmer
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