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Sieben auf einen Streich

Sieben auf einen Streich

Titel: Sieben auf einen Streich
Autoren: Amei Müller
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Strophe stimmte auch Vera mit ein,
hoch schwebte ihr Koloratursopran über dem Chor der anderen.
    Wir Geschwister saßen schweigend. Sie
hatten ja nicht ganz unrecht, Frühaufsteher, die sie waren, Morgenlerchen,
Abendmuffel! Aber konnte man uns als Schuld anrechnen, worunter wir selber so
schmerzlich litten? Kein beglückender Sonnenaufgang ward uns vergönnt, keine
Freude am Morgengesang der Vögel und am Duft frischer Brötchen.
    Ach, was hatte mir diese Veranlagung
schon für Ärger eingetragen! Jeder Urlaubsanfang war vergällt, und zwar bereits
Tage vorher, dann nämlich, wenn Manfred sich nicht mehr zurückhalten konnte und
trotz schlechter Erfahrung und besserer Einsicht die Frage stellte: »Um wieviel
Uhr fahren wir los?«
    Beide Söhne, sonst verständnisvoll und ihrer
Mutter liebreich zugetan, pflegten sich bei dieser Frage ohne weitere
Überlegungen auf die Seite ihres Vaters zu schlagen, indem sie riefen: »Ganz
arg früh, wenn’s no nacht isch!«
    Damit war der Krieg erklärt, die
Kampfhandlungen konnten unverzüglich beginnen. Leider endete der erste
Waffengang meistens mit einer völligen Isolation meinerseits, mit Tränen und
Türenschlagen. Im Laufe des Tages eilten Andreas und Mathias als Unterhändler
zwischen den beiden verhärteten Fronten hin und her. Manfred ging von dem
vorgesehenen Fünf-Uhr-Termin auf sechs Uhr hinunter. Ich von zehn auf neun. In
mühsamer Aufbauarbeit und zähen Verhandlungen einigten wir uns schließlich auf
halb acht.
    Fuhren wir dann um acht Uhr los oder
wenige Minuten danach, wurde mir kein Dank zuteil, sondern vielmehr jede rote
Ampel unter die Nase gerieben — »um fünf Uhr wäre sie noch nicht eingeschaltet
gewesen!« jeder schlecht fahrende Verkehrsteilnehmer auf den Buckel geladen — »so spät am Morgen fahren nur Frauen und Sonntagsfahrer!« Und gerieten wir gar
in einen kleinen Stau, so brach ich schier zusammen unter der Last der
Vorwürfe, der anklagenden Blicke oder des stummen Grolls.
    Fuhren wir nach Spanien, so fand die
Versöhnung erst tief in Frankreich statt. Auf dem Weg nach Italien hingegen
verziehen wir uns meist schon in Deutschland, dann nämlich, wenn Manfred die
Alpengipfel zu fotografieren gedachte und keine mißmutige Amei im Vordergrund
brauchen konnte.
    Ja, wir Geschwister hätten ein ähnlich
rührendes Septett anstimmen können über die Leiden der Morgenmuffel, zumal,
wenn sie mit andersgearteten verbunden, aber nein, wir taten nichts
dergleichen, ließen unsere Eheleute lamentieren, bis wir zu unserem Verdruß
bemerken mußten, daß sie sich zusammenrotteten und beschlossen, am nächsten Tag
in aller Herrgottsfrühe einen Morgenspaziergang zu machen. Andreas und Mathias,
meine Söhne, mitten unter ihnen.
    »Schluß jetzt, Ruhe!« Michael klopfte
auf den Tisch. »Ich denke, wir sind hier zu einem Familientreffen, und schon am
ersten Abend spaltet ihr euch in zwei Gruppen. Wir machen alles zusammen, damit
das klar ist! Und wir werden schöne Tage miteinander verbringen, verflixt noch
mal! Vor acht Uhr darf der Wubbel nicht wecken, sonst gibt’s Ärger!«
    »Okay, Boss«, sagte Stefan, »wir halten
ihn fest, solange es möglich ist, aber Krach wird er natürlich machen, das ist
seine Lieblingsbeschäftigung.«
    »Ich wußte, mit den Kindern gibt’s
Schwierigkeiten«, seufzte Michael.
    »Wie soll sich der Tag gestalten?«
fragte Beate.
    Jegliches Gespräch am Tisch verstummte.
Das war Muttis Frage gewesen, Morgen für Morgen: »Kinder, wie soll sich der Tag
gestalten?«
    Wir gaben ihr unsere Pläne an, und sie
richtete ihren Tageslauf danach ein.
    Es wäre mir als Kind nie in den Sinn
gekommen, »ich weiß es nicht« zu sagen oder »mal sehen«. Mein Tagesplan stand
schon am Abend vorher fest. Gestaltete er sich anders als geplant, dann war die
Welt nicht in Ordnung. Nur Gitti und Fränzchen, unsere beiden Jüngsten, die
blonde und die braune Schwester, lockten wider den Stachel und wollten mit
zunehmendem Alter ihre Tage nicht mehr vorgestalten. Gitti tat’s aus reiner
Widersetzlichkeit.
    »‘s ist mein Tag! Ich kann mit ihm anfangen, was ich will,
und ich bind’s euch nicht auf die Nase!«
    Manchmal streckte sie sogar die Zunge
gegen uns aus. Mutti seufzte dann und schloß die Augen, um Kraft zu sammeln im
Kampf gegen diese widerborstige Tochter. Fränzchen dagegen wußte nichts zu
antworten, weil sie völlig ahnungslos war, was die Gestaltung ihres Tages
anlangte.
    »Wie soll ich denn jetzt schon wissen, was
heute los sein wird.
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