Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieben auf einen Streich

Sieben auf einen Streich

Titel: Sieben auf einen Streich
Autoren: Amei Müller
Vom Netzwerk:
Nachtzeit
beherrschte und mit Hilfe derer sie bei uns Geschwistern all das erreichte, was
ihr als der Jüngsten, wie sie fand, zustand. Auf den stummen Tränenstoß folgte
ein langgezogener, tiefer und zu Herzen gehender Schnieflaut.
    Mit diesem besonders hatte sie meinem
Vater einfach alles abzuringen vermocht, sogar die Erlaubnis zur Tanzstunde,
die für uns ältere Geschwister so fern jeder Reichweite gelegen, daß wir nicht
einmal zu fragen gewagt hatten. Nur den Zopf, den dicken braunen Zopf, der bis
zu ihrem Po hinunterhing, den hatte er sich nicht abweinen lassen. Da konnten
die Tränen kullern, der Schniefer zum Sirenengeheul anschwellen, Vater wandte
sich ab und verhärtete sein Herz.
    »Der Zopf bleibt dran! Sei dankbar,
Kind, daß ich über ihn wache!«
    Also baumelte der Zopf noch immer auf
Fränzchens Rücken, und nach Vaters Tode tat er dies ungefährdeter denn je.
Worte aus Vaters Mund wie: »Nur über meine Leiche« und später Muttis sanfte
Stimme: »Ach, wie betrübt würde Vati sein...« hielten ihn fest.
    Jetzt nagte Fränzchen an eben diesem
Zopf und ließ dabei den zweiten Schub Tränen über das Gesicht rollen.
    »Tante Fränzle heult«, vermeldete
Mathias mit vorwurfsvoller Stimme.
    Michael legte denn auch gleich den Arm
um die kleine Schwester.
    »Es ist ja gut, Fränzchen, wir gehen in
ein billiges Hotel und wir helfen dir aus, das weißt du doch!«
    Nur Bruder Christoph murrte und sagte,
er könne ohne ein Zimmer mit Bad nicht existieren. Ein gewisses Maß an
Bequemlichkeit brauche er, um die Geschwister, Schwäger und Schwägerinnen,
Neffen und Nichten in solcher Fülle ertragen zu können. Doch wurde ihm nur von
seiner Frau Julia Verständnis zuteil. Der Rest der Familie verhielt sich
ablehnend und stimmte der kleinen Schwester zu, bis er sich knurrend fügte und
nur noch hinter vorgehaltener Hand düstere Prophezeiungen ausstieß.
    Nun aber erhob Gitti, unsere
Zweitjüngste, den blonden Lockenkopf. Sie war erst seit wenigen Monaten
verheiratet, saß zu Füßen ihres Ehemannes Klaus-Peter, hatte den Kopf in seinen
Schoß gelegt und schaute hinauf in sein geliebtes Gesicht.
    »Klaus-Peter«, sprach sie, »sag ihnen,
daß es sauber sein muß, sonst ekel ich mich!«
    »Ihr habt es gehört«, sagte
Klaus-Peter. »Es muß sauber sein, sonst ekelt sie sich, und wenn sie sich
ekelt, kann sie nicht schlafen, und wenn sie nicht schlafen kann, ist sie am
nächsten Morgen müde. Das werde ich unter keinen Umständen zulassen und also
bestehe ich auf Sauberkeit!«
    Gitti begleitete die Worte ihres Gatten
mit dankbarem Schweigen. Ihr Blick jedoch sprach Bände. Ist er nicht ein
wundervoller Mensch? so war darin zu lesen. Habt ihr bemerkt, wie heiß er mich
liebt und wie tapfer er für mich kämpft? Solch einen Mann hättet ihr wohl auch
gerne, liebe Schwestern!
    Sie ließ das Haupt zurück in seinen
Schoß sinken und streichelte dankbar seine Knie, derweil wir Geschwister mit
Trauer registrierten, wie dieses früher so reizvoll widerspenstige Geschöpf zur
demütig liebenden Gattin herabgesunken war.
    Es wird hoffentlich nicht lange währen,
so dachte ich bei mir. Irgendwann bricht ihr wahres Wesen durch. Sie kann doch
unmöglich in der kurzen Zeit ein neuer Mensch geworden sein.
    »Bitte, Tante Gitti, sing emal ›Schlof
wohl, do Hömmölsknöblein do‹!«
    Mathias rief es mit dringlichem Flehen
in der Stimme. Auch er begehrte offenbar die Tante Gitti von einst
wiederzufinden. Sie glänzte nämlich bei Familienfesten als Konzertsängerin,
wölbte die Brust heraus, riß den Mund auf und schmetterte mit tiefem
Mezzosopran und starkem Vibrato eben dieses Lied. Die Brüder senkten zwar bei
solcher Darbietung verschämt die Blicke, die Schwestern aber, die Neffen und
Nichten konnten nicht genug davon kriegen und klatschten jedesmal begeistert
Beifall.
    »Ja, tu’s doch, Gitti!« rief es denn
auch von allen Seiten, sogar die Brüder stimmten ein, aber:
    »Nein«, sagte Gitti, »ich singe nicht
mehr. Klaus-Peter mag es nicht.«
    »Des isch aber schad!« Andreas sprach
aus, was wir alle dachten, und manch finsterer Blick ruhte auf Klaus-Peter, dem
Löwenbändiger.
    So begann Michael zu planen, und da er
hoch im Norden wohnte, wählte er ein Hotel nach seiner Meinung auf der Mitte
der Strecke, nämlich im Harz, belegte dort acht Zimmer und lud ein auf
Donnerstagabend, den 30. April, mit nachfolgendem Wochenende.
    »Wer nicht kommt, muß das Zimmer
trotzdem bezahlen«, so schrieb er und tat damit deutlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher