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Sieben auf einen Streich

Sieben auf einen Streich

Titel: Sieben auf einen Streich
Autoren: Amei Müller
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zurückzublättern und die
Vorstellung der Familie in Augenschein zu nehmen. Auch könnte eine Wiederholung
dieser Aktion bei der weiteren Lektüre zu einem besseren Durchblick verhelfen.)
    Wir waren in stiller Wehmut durch die
elterliche Wohnung gegangen und hatten liebe Erinnerungsstücke untereinander
aufgeteilt. Fränzchen hielt die Suppenterrine im Arm, denn ihr, der Jüngsten,
war sie schließlich zuteil geworden.
    »Was willst du bloß mit ihr anfangen,
Fränzchen? Du kochst doch nie im Leben soviel Suppe. Schließlich bist du
allein.«
    »Ja eben«, maunzte sie kläglich, »ich bin
allein. Ihr alle habt eine Familie. Drum will ich wenigstens die Terrine haben,
aus der Mutti immer geschöpft hat. Ich pflanz’ Blumen rein und stell’ sie auf
den Balkon.«
    »Ist ja recht, Fränzchen.«
    Mein Herz floß über vor Müdigkeit, denn
saß unser Andreas nicht auf Büchern, die ich flugs aus dem Bücherschrank
gezogen und im Triumph nach Hause zu tragen gedachte. Es waren Vaters
Lieblingsbücher: ›Ut mine Stromtid‹, ›Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer‹, ›Die
Feuerzangenbowle‹ und ›Drei Mann in einem Boot‹. Diese Bücher hatten mir manche
glückliche Minute beschert, nicht nur beim Lesen.
    Es verhielt sich nämlich so, daß ich
meine Hausaufgaben in Vaters Studierzimmer erledigen durfte, denn mein Zimmer
wurde nur selten geheizt und befand sich außerdem direkt neben der Küche. Dort
vollführte Else, unsere Küchenfee, ein gewaltiges Geklapper mit Töpfen und
Pfannen, sang auch dazu und stellte das Radio auf höchste Lautstärke, besonders
wenn es die von ihr bevorzugte Marschmusik brachte.
    Da ich bei solchem Lärm keinen klaren
Gedanken zu fassen vermochte und sich auch niemand im Hause fand, der es gewagt
hätte, in der Küche um Ruhe zu bitten, stieg ich jeden Nachmittag mit meiner
Schultasche hinauf in den ersten Stock, schlüpfte leise ins Studierzimmer,
setzte mich an den Tisch und lernte, derweil Vater an seinem Schreibtisch
Kommentare las und Predigten schrieb. Manchmal zog er vorsichtig die Schublade
auf, holte eines seiner Lieblingsbücher heraus und genehmigte sich ein paar
Seiten. Dann hörte ich ihn lachen, leise, hinter vorgehaltener Hand. Ich beugte
meinen Kopf tief über den wenig humorvollen Cicero und war dabei von Herzen
glücklich, denn die Freude, Vater lachen zu hören, war mir nicht oft vergönnt.
    Andreas also saß auf meinem
Bücherschatz. Fränzchen hielt die Suppenterrine im Arm, Gitti ein
Familienalbum. Unsere Taschen waren gefüllt mit erinnerungsträchtigen und
lieben Dingen, und trotzdem fühlten wir eine schmerzliche Leere, denn sie
fehlte uns an allen Ecken und Enden. Sie — Mutti, auch Mutterle oder Muttchen
genannt, welch letzteres sie auf den Tod nicht ausstehen konnte, denn
»Kinderle«, so pflegte sie zu sprechen, »müßt ihr denn alles verniedlichen?«
    Der Lehnstuhl stand leer, von dem aus
sie mit zarter, aber fester Hand die Familie gelenkt hatte. Niemand wollte
Platz darin nehmen. Niemand unterbrach die hitzigen Debatten der drei Brüder
mit der Anfrage, wann sie zu essen gedächten. Eine Frage, die meine allzeit
hungrigen Brüder versöhnlich stimmte und ihr Gespräch in andere Bahnen lenkte.
Niemand hielt uns vier Schwestern zurück, wenn wir, in Liebe zwar und guter
Absicht, die spitzen Zungen aneinander wetzten. Niemand erzählte Anekdoten aus
der Zeit, als wir noch klein gewesen, reizende und gescheite Kinder, die
geistreiche Worte gesprochen und possierliche Dinge getan.
    Ach, wie gerne hatten wir diesen
Geschichten gelauscht! Selbst ich, die ich sonst lieber rede als zuhöre,
spitzte die Ohren, besonders, wenn von mir die Rede war. Dann saß ich da mit
stolzem Lächeln und hegte ähnlich freudige Gedanken wie mein Sohn Andreas.
Dieses liebe Kind nämlich schlug bei einer solchen Erzählung der Großmutter die
Hände zusammen und rief voll ehrlichen Staunens: »Mensch, Mutti, du warsch aber
mal e goldigs Mädle!«
    Nun weilte sie nicht mehr unter uns,
sie, die so schön zu erzählen wußte, die uns Geschwister in Kriegszeiten
versöhnt und im Frieden zusammengehalten hatte.
    Bruder Michael, der Älteste und nunmehr
das Familienoberhaupt, seufzte, blickte betrübt in die Runde und hub von neuem
an: »Wir müssen etwas tun, Leute, sonst fällt die Familie auseinander. Ich
schlage vor, wir treffen uns einmal im Jahr in einem schönen Hotel, bleiben ein
paar Tage dort, wandern, spielen, reden... Was haltet ihr davon?«
    Wir sagten, wir hielten viel davon
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