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Sieben auf einen Streich

Sieben auf einen Streich

Titel: Sieben auf einen Streich
Autoren: Amei Müller
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Piffpoff, Wubbel will
aber...«, die Lippen zitterten, die Mundwinkel sanken herab.
    »Gut, gut! Nimm sie mit! Aber ihr
beiden...«, Christoph musterte Andreas und Mathias mit finsterem Blick, »ihr
werft sie weg! Euch hätt’ ich mehr Verstand zugetraut! Was sammelt ihr dem
Kleinen Tannenzapfen?«
    »Mir hen denkt, mir könntet ›Maus‹
schpiele, no tät ihm die Fahrt schneller rumgehe und er müßt net schpucke.«
    »Das Denken überlaßt den Pferden, die haben
größere Köpfe!«
    Diesen Spruch zitierte Christoph oft
und gern, und jetzt gerade fand ich ihn besonders witzlos, da er sich gegen
meine Kinder richtete. Michael drängte zum Einsteigen.
    »Wenn wir so weitermachen, sind wir
heute abend noch nicht in Goslar. Los, macht schon, hier darf man nicht
parken!«
    Die Familie suchte ihre Plätze auf, die
Autotüren knallten, der Konvoi setzte sich in Bewegung. Die Jungvermählten
hinter uns verharrten noch immer in tödlicher Stille. Doch nein, eine Tüte
knisterte, leise Kaugeräusche. Gitti futterte. Ich mußte mich nicht umdrehen,
ich wußte es auch so. Wenn Gitti unglücklich war, dann stopfte sie alles in
sich hinein, was ihr an Eßbarem in die Hände fiel. Sie tat dies schon als
kleines Kind. Sie weinte nicht, sie kaute. An einem Heiligabend fiel es mir zum
ersten Mal auf. Gitti war vier Jahre alt und ich zehn. Sie hatte sich einen
Puppenwagen mit Verdeck gewünscht, und sie bekam einen Puppenwagen ohne
Verdeck. Ein bedauerlicher Fehler, der nach Weihnachten sofort korrigiert
wurde, am Heiligen Abend jedoch war das Geschenk nicht so wie erwünscht. Gitti
nahm es zur Kenntnis, die Stirn in kummervolle Falten gelegt, die Lippen zornig
gekräuselt. Sie packte den Wagen, schob ihn mit allen Anzeichen tiefsten
Mißfallens durchs Zimmer, klinkte die Tür auf, gab ihm einen Stoß, so daß er
hinausrollte in den dunklen Flur, und schlug die Tür wieder zu.
    »Was ist, Gitti, gefällt er dir nicht?«
    »Kein Verdeck!« Mehr kam nicht, keine
Träne, kein Schluchzer. Sie ging zu ihrem Platz zurück, ergriff den bunten
Teller und verschwand. Wir waren mit unseren eigenen Geschenken beschäftigt,
mit Freude und Enttäuschung, mit Danken und Bedanktwerden, bis uns ein
klägliches Maunzen aufschreckte. Es kam hinter dem Weihnachtsbaum hervor und
wurde immer schmerzlicher und lauter. Dann kroch Gitti aus dem Geäst,
angstvoll, schokoladeverschmiert und bleich. »Mein Bauch, au!«
    Sie hatte ihren bunten Teller
leergegessen. Schokolade und Marzipan, Apfel, Nüsse und Muttis steinharte
Lebkuchen, all dies war in ihrem Bäuchlein verschwunden und drückte sie dort
sehr.
    So ging es Jahr für Jahr. Sah ich die
kleine Schwester irgendwo versteckt sitzen, eine Tüte in der Hand, und wie ein
Maschinchen Stück für Stück, Keks, Schokolade, Rosinen oder Nüsse in den Mund
stopfen, kauen, schlucken, dann gab es nur eine Frage: »Bist traurig, Gitti?
Was ist denn? Komm erzähl’s.« Aß sie dann weiter, so war der Schmerz
unaussprechlich groß. Legte sie aber die Tüte beiseite und begann leise
flüsternd ihre Kümmernisse vor den schwesterlichen Ohren auszubreiten, dann war
der Hunger vergangen, dann rührte sie die Tüte nicht mehr an.
    So mampfte sich Gitti ihren Kummer von
der Seele. Ihren Ärger aber bekämpfte sie mit zornigen Worten und wilden
Gesängen.
    »Schaut nur, jetzt hat sie wieder ihren
Bock!« So sprachen wir Geschwister und genossen aus angemessener Entfernung das
reizvolle Schauspiel.
    Die Jahre vergingen, und Gitti reifte
heran. Der Babyspeck allerdings wollte nicht weichen, und der Zorn blieb leicht
entflammbar, bis Klaus-Peter, der Löwenbändiger und Tröster, auf der Bildfläche
erschien. Da schmolz der Speck wie Butter an der Sonne, da wurde das Dickerle
dünn, der Bock zum sanft blökenden Lämmlein. Eine Verwandlung, die uns
Geschwister eher erschreckte als erfreute und unsere Liebe zu Klaus-Peter in
Grenzen hielt.
    Doch siehe da, ein Abend im Kreis der
lieben Familie, und die alte Gitti brach mächtig aus der Versenkung herfür.
Gestern hatte sie gegen den Willen ihres Herrn und Gebieters ›Schlof wohl...‹
geschmettert, nun aß sie Schokoladewaffeln.
    »Wenn du so viel ißt, wirst du dick
werden.« Klaus-Peter sprach es mit Grabesstimme. »Ich mag es lieber, wenn du
schlank bist!«
    »Es ist mir«, so antwortete sie mit
vollem Mund, »egal, was du lieber magst! Ich mag jetzt Schokoladewaffeln, und
also werde ich sie essen.«
    Nun kauten sie beide. Klaus-Peter an
ihren Worten und sie an ihrer
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