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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er
Autoren: Andrea de Carlo
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der Reise kommt oder vom übermäßigen Körpergewicht oder vielleicht von der präzisen Absicht, die Handlungen desjenigen zu verlangsamen, der versucht, sich gegen den Widerstand des Alltags schnell zu bewegen. Zuletzt gelingt es ihm, in das vorletzte Taxi der Reihe zu springen: »Auf geht’s!«
    Der Taxifahrer sieht aus wie ein Indonesier; er mag es nicht, gedrängt zu werden, macht eine Geste, um zu erklären, dass er warten muss, bis die Kollegen vor ihm losfahren.
    »Ich habe es sehr eilig!« Die Eile zwickt ihn regelrecht, an der Seite und in den Eingeweiden.
    Der Taxifahrer breitet die Arme aus, wirft ihm im Rückspiegel einen misstrauischen Blick zu.
    Als es ihnen endlich gelingt, vom Gehsteig loszukommen und auf die Straße hinauszufahren, sagt er: »Wir nehmen die gleiche Strecke wie der Bus in die Stadt.«
    Der Taxifahrer dreht sich zu ihm um, als hätte er keine Ahnung, wovon die Rede ist.
    »Da runter!«, sagt er aufgebracht, zeigt in die Richtung, in die er den Bus hat fahren sehen.
    Der Taxifahrer nickt ohne Überzeugung.
    Sie fahren durch eine Gegend mit Baugruben und Straßenarbeiten, durch ein Wohnviertel mit Häusern und Gärten. Er beugt sich auf dem Sitz vor, um über die Autos vor dem Taxi hinwegzusehen, behindert von Pendeln und Kettchen, die an der Windschutzscheibe baumeln, und federnden Püppchen, die am Armaturenbrett befestigt sind. Vom Bus keine Spur; der Verkehr fließt langsam, mit der Entspanntheit der Westküste. »Könnten Sie nicht ein bisschen mehr Gas geben?«, sagt er, denn der Unterschied zwischen der Geschwindigkeit seines Herzens und der des Taxis wird allmählich unerträglich.
    »Nein«, antwortet der Taxifahrer, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Ich muss diesen Bus einholen!«, sagt er. »Wenn Sie es schaffen, zahle ich Ihnen das Doppelte!«
    Der Taxifahrer schüttelt den Kopf, vielleicht klingt der Satz für ihn wie ein Klischee, das er schon zu oft gehört hat, vielleicht kann er aufgrund der lokalen Verkehrsgesetze aber auch wirklich nicht viel tun.
    »Wissen Sie wenigstens, welchen Weg der Bus fährt?«, fragt er.
    »Ja«, sagt der Taxifahrer, wirkt aber nicht sonderlich interessiert.
    Auf kurzen Abschnitten fahren sie recht flott, dann wieder müssen sie bremsen, halten an roten Ampeln, an Fußgängerübergängen, an einer Baustellenausfahrt, aus der nacheinander drei Betonmischlaster kommen. Endlich erreichen sie eine lange Brücke, die über graues Wasser zu den Wolkenkratzern der Stadt führt. Er dreht das Fenster herunter und streckt den Kopf hinaus, möchte noch immer mit dem Blick die Distanzen verkürzen, die aber hartnäckig Widerstand leisten und Häuserblöcke aus Beton und Stahl und Gehsteige und Schaufenster und Ampeln dazwischenschieben und vor allem Menschen, Menschen, Menschen, die zu Arbeitsterminen oder zu Verabredungen mit Freunden unterwegs sind, von denen sie Adressen und Telefonnummern besitzen und die sie zu jeder Tages- und Nachtzeit mühelos erreichen könnten.
    An einer Ampel dreht der Taxifahrer sich um: »Ist es hier recht?«
    »Was, hier?« Er ist immer noch vorgebeugt, um krampfhaft die Umgebung zu sondieren und Einzelheiten aufzunehmen. »Nein, auf keinen Fall! Wir fahren bis zur Endstation des Flughafenbusses!«
    Das Gesicht des Taxifahrers wird noch skeptischer als zuvor, denn der Bus ist bis jetzt nicht in Sicht, und allen beiden ist ziemlich klar, dass ein Großteil der Passagiere schon an den Haltestellen unterwegs ausgestiegen sein muss. Dennoch fährt er wieder los, übt sich, so wirkt es, in äußerster Geduld, neigt bei jeder Kurve leicht den Kopf und lenkt das Auto mit seinen mageren Armen geschmeidig durch den Verkehr.
    Sie folgen einer starkbefahrenen Straße, an einem bestimmten Punkt sieht man zwischen den hohen Gebäuden flüchtig das graue Meer. Er späht weiter nach vorn und zur Seite, beäugt alle Passanten einzeln, analysiert ihren Gang und ihre Gesichtszüge mit einer Verzweiflung, die Minute für Minute zunimmt.
    Dann sind sie in einer langgestreckten Kurve, und der Taxifahrer deutet mit dem Zeigefinger nach vorn: Ein paar Dutzend Meter vor ihnen steht der Flughafenbus mit geöffneten Türen, Leute steigen aus, holen ihr Gepäck und gehen davon.
    Er reißt hastig die Türe auf: »Was macht es?«
    »He, warte!«, sagt der Taxifahrer. »Ich darf hier nicht halten!«
    Er springt trotzdem heraus, ohne die Augen von dem Bus und den noch aussteigenden Passagieren abzuwenden. Aber der Verkehr stört zu sehr, zu viele
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