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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er
Autoren: Andrea de Carlo
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Wasser; er geht unter, taucht wieder auf.
    Fasziniert beobachtet Clare von der Luke aus, wie Brian hinter dem peitschenden Regenvorhang mit dem Bootshaken herumfuchtelt und Paula schreiend dem Mann den Fender hinhält, während das Boot sich selbst überlassen bleibt und sich auf die Seite neigt, wo der Enterversuch erfolgt. Sie geht hinaus zur Plicht, ihr kurzes leichtes Baumwollkleid ist sofort pitschnass, und auf einmal wird ihr klar, was der Mann im Wasser da schreit: »Der Koffeeeeer!«
    Brian schwingt den Bootshaken, brüllt erneut: »Schwimm ans Ufer zurück!«, mit der tiefen Stimme eines kanadischen Bären, der entschlossen ist, Boot und Familie zu verteidigen. Paula wiederum gelingt es nicht, dem Mann im Wasser den Fender zu reichen, oder vielleicht greift er gar nicht danach, er scheint vielmehr zu gestikulieren und nach Luft zu schnappen, es sieht aus, als streckte er sich, um über den Bootsrand zu sehen. Dann schreit der Mann, obwohl es scheint, als würde er tatsächlich gleich ertrinken, auf einmal verständlich: »Claaaaare!«
    Sie springt aus der Plicht, stolpert über einen Poller, rutscht fast von Bord, kann sich aber gerade noch an der Reling festhalten und schreit »Heeeeeey!«, in einem so herzzerreißenden Ton, dass ihre Schwester und Brian und sogar der Mann im Meer erstarren und sie ansehen.
    »Was ist los?!«, brüllt Brian, keuchend in seinem gelben Ölzeug, rot im Gesicht, den Bootshaken fest in den Händen wie eine mittelalterliche Waffe.
    »Das ist er«, schreit sie; gestikulierend zeigt sie auf den Mann im Wasser, überwältigt von den Gedanken und Empfindungen, die auf sie einstürmen.
    Paula, genauso rot wie ihr Mann, schreit: »Wer?«
    »Er!«, wiederholt sie, absolut unfähig, das, was ihr durch den Kopf und durchs Herz geht, zu ordnen und in Worte zu fassen.
    Ihre Schwester und ihr Schwager sehen sie mit einem sehr ähnlichen Ausdruck an. »Wer, er?«, schreit Paula kopfschüttelnd.
    »Eeeeer!«, schreit Clare noch lauter. Sie beugt sich zu dem Mann im Wasser, gegen den zunehmenden Wind, im rauschenden Regen, der stürmt und wegwäscht und trübt und betäubt und alles vermengt, was rundherum ist.
    Er ist wieder untergetaucht, kann sich aber am Bootshaken festhalten, den Brian ihm jetzt ratlos hinstreckt, und schafft es, den Kopf über Wasser zu halten. Er blickt nach oben, und in der aufschäumenden Gischt und den konzentrischen Kreisen und den anschwellenden kleinen grauen Wellen sieht es aus, als lächelte er.
    Sie ist sich nicht sicher, ob es wirklich so ist, weil ihr der Regen auf den Kopf prasselt, über die Stirn läuft, in die Augen tropft und sich mit den Tränen vermischt, die unaufhaltsam über ihre Wangen strömen.
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