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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Autoren: Christian Strzoda
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wurde.
    »Komm schnell her, deine Frau hatte einen schweren Unfall«, rief der Besitzer des Reitstalls dem Ehemann am Telefon zu.
    Das ist ein Satz, den jeder Angehöriger nicht so bald wieder vergisst und der sich einbrennt wie Napalm. Den Ehemann traf die Nachricht wie eine Pistolenkugel. Er schmiss den Hörer in die Ecke, spürte noch während des Gesprächs seinen schnellen Puls bis in den Hals schlagen. Er ließ alles stehen und liegen, stürzte aus seiner Wohnung und rannte zu seinem Auto.
    Und jetzt erwarten Sie, dass ich zusammen mit Lenny ins Spiel komme und der Alarmempfänger unserer Pause ein jähes Ende bereitet. Dass wir uns in den RTW begeben, uns den Einsatzort durchgeben lassen und uns auf den Weg machen, um einer schwer verletzten Reiterin zu helfen. Mit dabei das Gemaule im Straßenverkehr über Autofahrer, die nichts kapieren, und auch das Einsatzhorn, das auf Dauerbetrieb geschaltet ist. Aber nein. Diese Geschichte beinhaltet leider eine kleine, unfreundliche Abweichung.
    Der angerufene Ehemann war ich. Und die Retter waren diesmal die anderen.
    Auf dem Weg zum Unfallort rief ich Lenny an. Auf meine Bitte hin wollte er versuchen, sich in der zuständigen Leitstelle über Helenas Zustand zu erkundigen. Es klappte nicht rechtzeitig – ich fuhr viel zu schnell und schaffte es noch vor seinem Rückruf an die Unfallstelle. Er hatte mich noch gebeten, vorsichtig zu fahren, aber es war vergebens gewesen. Die Landschaft raste an mir vorbei, und 15 Minuten später traf ich ein – kurz nachdem der Hubschrauber gelandet und das ganze Dorf zusammengelaufen war. Ich hielt direkt neben dem Rettungswagen, der einige Minuten vor dem Hubschrauber eingetroffen war.
    »Mir geht es gut, ich habe keine Schmerzen«, sagte Helena und lächelte mich vom Boden aus an, während das Team des Hubschraubers sich beeilte. Die Verdachtsdiagnose des Notarztes: Polytrauma. Das bedeutet, dass mehrere Verletzungen an verschiedenen Körperstellen vorliegen und mindestens eine davon lebensbedrohlich ist. Vermutlich war es das Adrenalin, das Helenas Schmerzen zunächst verschwinden ließ. Mir blitzten berufstypische Gedanken eines Retters auf: Bauchtrauma, zertrümmertes Becken, hoher Blutverlust, Querschnittslähmung, Schock. Ich trat zurück, als mich ein Rettungsassistent des RTW einfach zur Seite schob. Er wusste nicht, dass ich ein Kollege einer benachbarten Rettungsdienstorganisation war, aber er tat natürlich das Richtige.
    Trotz meiner zweifelhaften Begabung, als Angehöriger ständig im Weg zu stehen, waren die Rettungsassistenten außerordentlich professionell und freundlich. Ich ließ die Situation auf mich wirken und hätte niemals gedacht, dass sich deren Verhalten so in meine Erinnerung einbrennen würde. Mir fiel in diesem Moment ein, wie ich selbst Angehörige im Rahmen eines Einsatzes erlebe und wie ich darauf reagiere. Der plötzliche Kontrollverlust im intimsten Lebensbereich erzeugt bei ihnen Angst und Unsicherheit, manchmal Panik. Mit unserem Verhalten hinterlassen wir sowohl beim Patienten als auch bei dessen Angehörigen einen sehr einschneidenden Eindruck. Eine außergewöhnlich mehrdimensionale Erkenntnis meines eigenen beruflichen Wirkens drang in mein Bewusstsein vor, denn als Retter haben wir die Fäden in der Hand. Wir stellen die Fragen und weisen Angehörige an, auf die Seite zu gehen oder die Versicherungskarte zu suchen. Wir sagen dem Patienten, was er haben könnte und dass er ins Krankenhaus muss. Auch wissen wir natürlich, dass wir eine Art von Macht und Kontrolle ausüben, wenn wir dem Patienten und Angehörigen freundliche, aber bestimmte Befehle inmitten ihres privatesten Lebensbereiches erteilen. Aber wie es ist, selbst Angehöriger in einer Notfallsituation zu sein, wissen wir in der Regel nicht – zumindest wusste ich das bisher nicht.
    20 Minuten später hob der Helikopter ab und ließ mich am Boden zurück.
    In der Notaufnahme angekommen, schob mich ein langhaariger Pfleger mit Dreitagebart zur Seite. Ich dürfe hier nicht stehen, sagte er, und ob ich die Bodenmarkierung nicht gesehen hätte. Dass meine Frau schwer verletzt mit einem Hubschrauber hergebracht worden war, ließ ihn kalt. Fernab jeglicher Empathie verschwand er und ließ mich alleine stehen. Im Vorbeigehen sagte ein anderer, ich solle es im Schockraum versuchen. »Da hinten, immer dem roten Strich entlang«, antwortete er, obwohl ich die Frage dazu noch gar nicht gestellt hatte. Anschließend ging auch er.
    Im Schockraum
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