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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Autoren: Christian Strzoda
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wie schon lange nicht mehr.
    »Was ist? Holt mich endlich hier raus«, meinte Ludwig, »oder könnt ihr nicht?« Niemand bewegte sich. Keiner reagierte. »Ihr könnt es nicht ...«
    »Nein.« Ich hielt seinen Arm, während ich den übrigen Männern bedeutete zu gehen. Auch Lenny, der sich jedoch in der Nähe bereithielt. Auf der Straße herrschte Stillstand.
    »Wir wollten das Gemüse in meinen anderen Laden bringen. Später wollte ich mich mit Lena treffen.«
    »Ihrer Frau?«
    »Ja. Wir haben heute Hochzeitstag.«
    Ein Brechreiz stieg in mir hoch, den ich aber unterdrücken konnte. »Das kann nicht wahr sein«, dachte ich. Ich sprach es nicht aus. Lenny hatte mitgehört und versuchte, Lena mithilfe der Polizei zu finden und herzubringen. Ich sagte es Ludwig.
    »Quatsch. Sie soll lieber ins Krankenhaus kommen. Da kann ich sie besser gebrauchen.«
    »Ludwig …«, begann ich vorsichtig.
    »Ja?«
    »Wir werden es nicht schaffen.« Pause. Das Rauschen der Straße hallte an uns vorbei. »Es tut mir so leid.«
    »Ich muss sterben?«
    »Sie sind sehr schwer verletzt. Wenn wir Sie hier rausholen, werden Sie verbluten.«
    Ludwigs Gesicht war eingefallen. Ausgemergelt und blass, als ob er eben aus dem Vietnamkrieg nach Hause gekommen wäre. Dabei waren seit dem Unfall nur 50 Minuten vergangen.
    »Und Lena? Und die Kinder?«, fragte Ludwig.
    »Ich weiß es nicht. Ich hoffe, dass Lena es hierherschafft, bevor es so weit ist.«
    Der Blutdruck fiel weiter in Richtung Keller. 70 zu 40, Puls 120. Durch den Blutverlust driftete er in den Schock. Wir konnten ihn nicht mehr lange stabilisieren, denn Ludwig verlor einfach zu viel davon.
    »Wie ist Sterben?«, fragte er mich schließlich.
    »Ich glaube, dass es Erlösung und Freiheit bedeutet.«
    »Keine Schmerzen?«
    »Nein. Nur einen kurzen Moment Atemnot.«
    »Aber Lena ... sie schafft es nicht mehr rechtzeitig zu mir.« Ludwig weinte.
    Weit und breit war nichts von ihr zu sehen. Kein Polizeifahrzeug, das Lena mit Blaulicht an die Einsatzstelle gebracht hätte. Ich bot Ludwig an, ihm Morphium verabreichen zu lassen, damit er die Schmerzen besser ertragen könne. Aber er lehnte es ab. Systolischer Blutdruck: 40. Puls: kaum tastbar. Ludwigs Stimme war jetzt fast nicht mehr zu hören. Ich drehte die Infusionen weiter auf. Doch es war nutzlos, und jeder von uns wusste es.
    »Ich liebe sie«, sagte er noch und schloss die Augen, während seine Seele dorthin verschwand, wo ihr Ursprung gewesen war.
    Lenny und ich haben Lena später am Krankenhaus getroffen. Sie hatte Ludwigs Sachen in Empfang genommen und darüber entschieden, was mit seiner sterblichen Hülle geschehen sollte. Als ich ihr Ludwigs letzten Satz mitteilte, brach sie zusammen. Ich wollte ihr das trotzdem nicht ersparen, denn sie hatte ein Recht darauf, von den letzten Minuten ihres Mannes zu erfahren. Und seinen letzten Satz, der ihr allein gegolten hatte.
    Ludwig hatte ich erzählt, was er meiner Meinung nach am ehesten über das Sterben hatte hören wollen – unerheblich, ob ich daran glaubte oder nicht. Er hatte es mir abgenommen.

Wohnungsmangel
    Der Versuch, eine alte Dame wiederzubeleben, endete um 3.13 Uhr mit ihrem endgültigen Ableben. Da der Notarzt keinen Leichenschein dabeihatte, bat er seinen Fahrer, einen zu besorgen. »Ich geh schon«, kam Lenny dem Fahrer zuvor, nahm den Autoschlüssel und machte sich auf den Weg zum Notarzteinsatzfahrzeug, das direkt vor dem Haus parkte. Ich hörte die Wagentür durch das geöffnete Fenster und ein klickendes Feuerzeug, mit dem Lenny sich einen Zigarillo anzündete. Ein Hund stieß eine Mülltonne um und kläffte. Im Haus gegenüber gingen Lichter an. Ein Mann streckte seinen Kopf aus dem Fenster und glotzte.
    Ich entfernte alle Hilfsmittel, die wir zur Behandlung an der Patientin angebracht hatten. EKG-Elektroden, Beatmungsschlauch und Pflaster steckte ich in einen weißen Müllbeutel aus Plastik, den ich neben das Bett legte. Das Pulsoximeter verschwand wieder in der schwarzen Tasche, die seitlich am EKG angebracht war. Die blassgrüne Tapete mit den hellbraun-weißen Blumenornamenten aus den 70er-Jahren hatte schon bessere Zeiten gesehen. Vergilbte Stellen und abgestandener kalter Rauch sagten mir, dass die Dame gerne mal eine Zigarette durchgezogen hatte.
    »Hatte sie Angehörige?«, fragte ich den Nachbarn, der uns gerufen hatte.
    »Nein, leider nicht.«
    »Und wie sind Sie in die Wohnung gekommen?«
    »Ich habe einen Schlüssel. Den hat sie mir gegeben, weil sie sich
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