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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Autoren: Christian Strzoda
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Rekurrenzen mit assoziativen Entgleisungen und Wortkontamination. Thomas Gillessen hatte eine schizophrene Störung, die erst wieder genau in dem Moment an die Oberfläche gekommen war, als wir die Wohnung hatten verlassen wollen.
    Kennen Sie das? Sie werden frühmorgens aus dem Tiefschlaf aus einem surrealen Traum aufgeweckt. Sie versuchen, alle Gedanken, die Ihnen in diesem Moment durch den Kopf fliegen, in Worte zu fassen. Für Sie klingt das alles schlüssig – ebenso wie Ihr Traum für Sie in diesem Moment absolut logisch ist. Ihr Partner, der neben Ihnen liegt und Sie hört, sagt jedoch: »Was redest du da für einen Quatsch?« Und je differenzierter Sie über Ihren vergangenen Traum nachdenken, desto mehr wird er zu wirrem Unsinn. Thomas Gillessen war in dieser formalen Denkstörung gefangen. Ohne die Möglichkeit, je von selbst wieder aufzuwachen, verliert sich der schizophrene Patient rettungslos im Strom seiner Einfälle. Er ist nicht in der Lage, seine widersprüchlichen und in alle Richtungen gleichzeitig fließenden Gedanken zu bündeln.
    Einige Zeit später trafen der Notarzt und die Polizei ein. Die Übergabe ging kurz und sachlich vonstatten. Ich teilte dem Arzt mit, dass es Herrn Gillessen den Sicherungsschalter herausgeschlagen hatte, als wir den Einsatz nach kurzem Kontakt hatten beenden wollen. Und dass das mit der Suizidandrohung vermutlich gestimmt hatte. Thomas Gillessen war psychisch krank und hatte Glück, dass die Psychose während unserer Anwesenheit zum Vorschein gekommen war. Er hätte sich ansonsten tatsächlich etwas antun können.
    »Ich bin Gott!«, schrie Herr Gillessen wieder und streckte Lenny den Arm zur Verabschiedung mit leichter Verbeugung entgegen.
    »Gott? Aha. Dann haben wir wohl gestern Ihren Sohn gefahren. Der Typ hat nämlich gemeint, er sei Jesus.«

Strokealarm
    An manchen Tagen gibt es eine seltsame und unerklärliche Häufung gleichartiger Einsätze. Aber mir war bisher nicht gelungen, die Frequenz bestimmter Leiden anhand von Statistiken vorherzusagen. Weder gibt es eine Kumulation von Herzinfarkten zu einer prägnanten Uhrzeit, noch passieren Herz-Kreislauf-Stillstände zu einer speziellen Tages- oder Nachtzeit. Die einzige Klarheit herrscht bislang über Einsätze in Bezug auf Motorradunfälle. Die sind im Winter natürlich seltener als im Sommer.
    »Heute ist wieder so ein Kreislaufwetter«, sagte Lenny und biss in seinen Burger.
    »Was ist denn bitte Kreislaufwetter? Hast du heute schon mal jemanden im Kreis laufen sehen?«
    »Unsinn. Hast du es eben nicht gehört? Drei RTW haben in Folge ’nen Kreislaufkollaps gefahren.«
    »Das heißt noch gar nichts. Du stehst wohl auch auf Bauernregeln, oder?«, frotzelte ich.
    »Du wirst schon sehen.«
    »Kräht der Lenny aufm Mist, ändert sich das Wetter – oder es bleibt, wie es ist«, meinte ich lachend, während Lenny ausstieg, um einen Zigarillo zu rauchen. Er hatte die Tür noch nicht ganz zugeschlagen, da alarmierte uns die Leitstelle über einen Kreislaufkollaps in einem benachbarten Ort.
    Das Treppenhaus war mit Hieroglyphen irgendwelcher Analphabeten vollgeschmiert, die damit wohl ihren Gangstatus markieren wollten. Unsere Latexhandschuhe blieben am Geländer kleben. In dem Siffladen hatte scheinbar schon lange niemand mehr einen Putzlappen in die Hand genommen. Irgendwo briet jemand Schweineschnitzel.
    Die Schwester der 70-jährigen Patientin hatte dieser eigentlich nur ein gutes und friedliches Osterfest wünschen wollen. Als die Patientin aber nur »ja ... ja ... hmmm« gestammelt und nicht wie erwartet reagiert hatte, hatte die Schwester in der Rettungsleitstelle angerufen und um Hilfe gebeten.
    Auf dem Klingelschild stand »Habermann«. Die Frau hatte die Tür bereits geöffnet. Sie wirkte verwirrt, blickte in der Diele herum und sagte nichts.
    »Was ist passiert?«, fragte ich Frau Habermann, die nur dastand und nichts machte.
    »Lassen Sie uns ins Wohnzimmer gehen. Dort würden wir Sie gerne untersuchen. Sie sind doch Frau Habermann, oder?« Frau Habermann nickte und lief ins Wohnzimmer, wo sie sich auf einen Stuhl setzte. Sie schien uns zu verstehen.
    Ich blickte zu Lenny, der mir zunickte. Wir befürchteten eine Gehirnschädigung. Möglicherweise lag ein Schlaganfall vor. Frau Habermann war offenbar nicht in der Lage, Worte zu formen. Sie wollte es, doch je mehr sie sich bemühte, desto weniger gelang es ihr. Und sie schien zu realisieren, dass etwas nicht stimmte. Ich vermutete daher einen
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