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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Autoren: Christian Strzoda
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investieren durfte. Die Zeit bis zum Staatsexamen war nämlich eigentlich für das umfangreiche Wissen, das man benötigte, viel zu kurz. Während Freunde am See lagen und in der Sonne dösten, hatte ich mein Anatomiebuch in der Hand. Einladung zur Geburtstagsfeier? Nein, ich muss noch Pharmazie lernen. Ski fahren? Geht nicht, weil … Aber was sollte das Genöle. Ich wollte schließlich kein Note-4-Rettungsassistent werden.
    Das Staatsexamen hatte es durchaus in sich. Die praktische Prüfung fand irgendwann während der heißesten Sommermonate des Jahres 1996 in einem Klinikum einer deutschen Großstadt statt und kostete jeden der Kandidaten mindestens drei Liter Angstschweiß. Helmut Berger und noch einige andere saßen zusammen mit mir vor dem Prüfungsraum im fünften Stock und inhalierten Nikotin, was das Zeug hielt. Dann war es so weit. »Herr Berger bitte. Und Herr Str...zoda. Entschuldigung, wie spricht man das aus?« Immer stolpern alle über meinen Namen. »Das Z ist stumm, du Idiot!«, dachte ich. Dass mein Gegenüber das nicht wissen konnte, verpuffte in der Mittagshitze und meiner Nervosität.
    Weiß wie die frisch gestrichene Wand betraten wir beide den Raum. Einer der Prüfer, bei denen Fettleibigkeit offenbar nicht als Krankheit galt, sondern eine Berufsvoraussetzung darstellte, bot uns ein Glas Wasser an. Unsere erste Prüfung endete letztlich in einem Desaster. Helmut Berger stolperte beim Versuch, die Vakuummatratze anzuformen, die den am Rücken verletzten Mimen sicher hätte ruhigstellen sollen. Nachdem der Mime darauf gebettet worden war, hätten wir dazu die Luft aus der Matratze absaugen müssen, und Tausende winzige Kügelchen hätten sich dann perfekt an den Körper angepasst wie eine Gipsschale. Die Ecke der Matratze stand aber blöderweise zu weit nach vorne und ließ Helmut alt aussehen. Er fädelte beim Versuch, die Matratze zu umlaufen, mit dem linken Fuß unter dem orangefarbenen Gebilde ein und drehte sich zur Hälfte um die eigene Achse. Ich beobachtete das alles wie in Zeitlupe. Ich sah, wie sein Blick in meine Richtung ging, konnte aber nicht helfen. Helmut blieb dann mit der rechten Hand am Absauggerät hängen, renkte sich noch den Daumen aus und klatschte auf den Industrieteppichboden. Klassisch versiebt. Die Prüfung war für ihn gelaufen. Und für mich zunächst auch – ich musste einige Runden später wiederholen.
    Eine Prüfungsgruppe später gab es den nächsten Eklat. Auch Lea Noss fiel zunächst aus, weil sie zu hecheln anfing wie ein Hund im Sommer. Eine stressinduzierte Hyperventilation. Und wie es sich für eine reale Notfallsituation inmitten dieses Prüfungsszenarios gehörte, taten wir Prüflinge alle dasselbe: nämlich nichts. Wir standen wie angewurzelt da, guckten wie vakuumierte Monchhichis und waren zu keiner vernünftigen Reaktion fähig. Einer der Prüfer half dann mit einer Mülltüte aus weißem Plastik und beendete das Drama. Lea Noss bestand, und ich bekam eine halbe Stunde nach ihr meine zweite Chance.
    Mein nächster Prüfungspartner wurde wegen seines Nachnamens von allen nur »Leuchti« genannt. Ich war zwar immer noch nervös, aber eigentlich bestens auf die meisten Fälle vorbereitet. Den Wiederbelebungs-Algorithmus beherrschten wir im Schlaf. Der Schweiß brach erst aus, als wir vor dem Prüfungszimmer standen und die Ausrüstung betrachteten, die uns zur Verfügung stehen sollte. Es handelte sich dabei nicht um einen Erwachsenenkoffer, wie wir das eigentlich erwartet hatten, sondern um eine Notfallausrüstung für Babys. Nicht, dass wir die Babyreanimation zu wenig trainiert hätten. Wir hatten nur nicht damit gerechnet. Das ist vergleichbar mit einem Vorstellungsgespräch: Sie bereiten sich halbherzig auf Fragen vor, mit denen Sie aber irgendwie doch nicht rechnen. Sobald dann eine entsprechende Frage gestellt wird, werden Sie unsicher. Der Schweißfleck unter Ihren Achseln vergrößert sich unübersehbar. Und plötzlich ist sie da – die Metalldose im Hals. Der Personaler möchte zwar wissen, welche Ihre drei größten Stärken oder Schwächen sind. Aber er fragt auch danach, weshalb Sie eigentlich noch immer keinen Job gefunden haben, und interessiert sich dafür, ob Sie auch alles über Ihre zukünftige Firma und die Quartalszahlen der letzten zehn Jahre wissen. Bei dieser Prüfung wurde mir eine der Lehren zuteil, die ich auch für mein späteres Rettungsassistentenleben bestens verwenden konnte: Erwarte das Beste, aber rüste dich für das
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