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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Autoren: Christian Strzoda
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meines noch jungen Retterlebens. Ob ich den Patienten umbringen wolle, nicht alle Latten am Zaun hätte oder betrunken sei, waren noch die freundlichsten Sätze, die mir der internistische Assistenzarzt zurief. Und das völlig zu Recht.
    Ich nahm mir meine miese Leistung zu Herzen und brachte mir in der Folge das bei, was die Rettungsdienstschule versäumt hatte – die Interpretation eines Elektrokardiogramms über die Basisrhythmen hinaus. So etwas sollte mir nicht noch einmal passieren.
    Heute schreiben wir das Jahr 2012. Ich gehöre jetzt zu den »alten Hasen«, gebe mein Wissen an andere weiter und versuche, ihnen die Fehler zu ersparen, die ich zielsicher und voller Elan begangen habe. Meine Erkenntnis, dass jeder selbst für sein eigenes Fortkommen und Besserwerden verantwortlich ist, kam rechtzeitig. Niemand sollte sich auf die Qualität der Ausbildung einer Rettungsdienstschule verlassen und auf seinem Wissensstand stehen bleiben. Know-how rettet in diesem Job Leben. Halbwissen ist und bleibt gefährlich.
    Hinter dem Berufsstand des Rettungsassistenten, so wie ich einer bin, verbirgt sich eine zweijährige Ausbildung, die mittlerweile alle Bereiche der Notfallmedizin umschließt. Nach Bestehen des begehrten Staatsexamens und dem praktischen Ausbildungsjahr darf sich der Kandidat mit der Berufsbezeichnung »Rettungsassistent« oder »Rettungsassistentin« schmücken. Und somit stehen ihm alle Möglichkeiten im Rettungsdienst offen. Er darf nun – im Gegensatz zum Rettungssanitäter, der lediglich eine dreimonatige Ausbildung genossen hat – Notfallpatienten betreuen und invasive Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören das Legen venöser Zugänge und das Einführen eines Beatmungsschlauches in die Luftröhre, auch Intubation genannt. Auch darf er nun ärztliche Maßnahmen insbesondere bei einer akuten Lebensgefahr durchführen und Medikamente anwenden.
    In den letzten 20 Jahren hat sich hier einiges entscheidend verbessert, da die Qualitätsansprüche unserer Gesellschaft extrem gestiegen sind. Zu Beginn meiner Tätigkeit hätte mir erheblicher arbeitsrechtlicher Ärger gedroht, wenn ich einem Patienten einen venösen Zugang gelegt, Blut abgenommen und ihm Natriumchlorid-Lösung verabreicht hätte, heutzutage wird dies selbstverständlich erwartet. Auch müssen wir in der Lage sein, eine kompetente EKG-Diagnostik durchzuführen, zu defibrillieren und zu intubieren oder einen Katheter in einer Harnblase zu platzieren. Und zwar um 17 Uhr, um zwölf Uhr oder um drei Uhr früh. Die Zeiten, in denen wir Rettungsassistenten als bessere Taxifahrer mit einer »Bahre« fungierten, sind längst vorbei.
    Dass wir Retter größte qualitative Fortschritte gemacht haben, ist jedoch noch nicht bis in alle Gesellschaftsschichten durchgedrungen. Gelegentlich werden uns nach wie vor ganz witzige Berufstitel zuteil, die die absolute Unwissenheit der Bevölkerung und auch die Ignoranz bezüglich medizinischer Assistenzberufe aufzeigen. Aber auch Ärzte greifen hier gelegentlich in die Wortschöpfungskiste für Berufsbezeichnungen. Beim Doktor in einer niedergelassenen Arztpraxis waren wir nur »die Träger«, die gleich die »Bahre« holen würden. Ich wies den Doktor dezent darauf hin, dass nur Leichen »aufgebahrt« würden. Eine Krankenschwester sagte einmal zum Patienten, dass seine »Krankenfahrer« jetzt da seien. Eine Stationsschwester teilte dem Patienten mit, seine »Taximänner« seien eingetroffen. Ich fragte den Mann daraufhin, ob die »Urinkellnerin« denn schon seine Papiere vorbereitet habe, damit das »Taxi« baldmöglichst ablegen könne. Der Herr fand das lustig, die Krankenschwester allerdings nicht.
    Die Berufsbezeichnung trägt sicherlich zu diesem Unverständnis einen großen Teil bei. Was assoziieren Sie mit dem Begriff »Rettungsassistent«, sofern Ihnen diese Bezeichnung überhaupt geläufig ist? Dass dieser der Assistent des wesentlich niedriger qualifizierten Sanitäters ist? Oder dass er bei der Rettung assistieren darf? Wenn sich unsere Berufsgruppe irgendwann als »Fachkraft für Rettungsmedizin« oder »Rettungsmeister« bezeichnen darf, werden eventuelle Zweifel an der Qualifizierung hoffentlich ausgeräumt werden.
    Würde ich den Beruf »Rettungsassistent« noch einmal ergreifen, wenn ich vor die Entscheidung gestellt würde? Diese Frage kann ich nicht so ohne Weiteres beantworten. Familienfeindlicher Schichtdienst und schwere gesundheitliche Belastungsmomente durch ständige Wechselschicht machen
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