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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Autoren: Christian Strzoda
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venöser Zugang, Blutentnahme und ein zügiger Transport in die Notaufnahme unseres Klinikums, wo wir von der Neurologin bereits erwartet wurden. Das Zeitfenster war sehr gut. Herr Matos lag nach nicht einmal einer Stunde nach Eintritt der Symptomatik auf dem Tisch des Computertomografen. Es stellte sich heraus, dass der Mann einen Schlaganfall im Bereich des Hirnstammes erlitten hatte, der erfolgreich lysiert werden konnte. Ihm würden zumindest von diesem Apoplex, wie der Schlaganfall in der fachlichen Kurzform bezeichnet wird, keine Folgeschäden bleiben.
    Noch während Lenny und ich unseren Rettungswagen klarmachten, rief uns die Leitstelle erneut.
    »1/83/1, fahren Sie: Warenberg, Kipfelstraße 13, Notfallpatient Hahnel hat Sprachstörungen.«
    Wieder ein möglicher Schlaganfall. Das war doch unglaublich.
    Herr Hahnels Frau bat uns in die Villa im Hinterland unserer Stadt. Der Helfer vor Ort war bereits zugange und berichtete Lenny und mir, dass Herr Hahnel nach seinem einstündigen Mittagschlaf plötzlich nicht mehr in der Lage gewesen sei zu sprechen. Zum Verhängnis könnte Herrn Hahnel in diesem Fall werden, dass nicht unverzüglich ein Notruf erfolgt war. »Wir wollten nicht unnötig stören«, meinte die Ehefrau dazu.
    Immer wieder das gleiche perfide Spiel. Während der Stadtmensch den Rettungswagen schon bei einem quer sitzenden Pups herbeizitiert, rufen Bewohner der ländlichen Gegend häufig erst an, wenn die Kacke richtig am Dampfen und es fast zu spät ist.
    Wie vorhin bereits erwähnt, geht es bei einem akuten Schlaganfall aber vorwiegend um Zeit. Es darf so wenig wie möglich davon vergeudet werden. Jede verschenkte Minute bedeutet für den Patienten das Absterben von Hirngewebe. Was würden Sie unternehmen, wenn Sie oder ein Angehöriger plötzlich nicht mehr sprechen könnten? Ich hoffe nicht, dass Sie so lange warten würden, bis der Schlaganfall von selbst ausheilt ...
    Meine Armbanduhr zeigte in diesem Moment 16.07 Uhr. Wenn Herr Hahnel bis halb zwei geschlafen und anschließend noch eine Zeit lang gewartet hatte, blieben ihm noch 20 Minuten bis zum Ablauf der Lysegrenze. Wir mussten uns also sputen.
    Der Helfer vor Ort nahm uns einiges an Arbeit ab. Diesmal klappte es noch zügiger als bei den ersten zwei Schlaganfällen. Nach zehn Minuten befanden wir uns mit Sondersignal auf dem direkten Weg in die Klinik. Die Neurologin meinte auf dem Weg zum Computertomografen, dass es wirklich schön wäre, wenn sie uns an diesem Tag nicht mehr sehen müsste. Gut, dass sie mir dabei zuzwinkerte und lachte.
    Herr Hahnel war seiner unendlich langen Krankheitsgeschichte nach ein internistisches Polytrauma. Die Akte las sich wie eine mehrseitige Aneinanderreihung medizinischer Fachausdrücke, von denen sich jeder einzelne ziemlich ungemütlich anhörte. Unter anderem war hier von einer hochgradigen linksseitigen Verengung der Halsschlagader, einer koronaren Herzerkrankung mit zwei implantierten Stents, Bluthochdruck und dem bei so einer Geschichte obligatorischen tablettenbehandelten Diabetes mellitus die Rede. Und jetzt stellte sich auch noch ein Infarkt des Broca-Areals heraus, der Herrn Hahnel die Sprache raubte.
    Wie so oft spielt im Rettungsdienst das Glück ab und an auch eine Rolle. Die Neurologin überlegte, traf schließlich eine sehr knappe Entscheidung und zog die Lyse durch – Herr Hahnel hatte Glück: Nach kurzer Zeit gingen die Sprachstörungen bei ihm zurück. Die ärztliche Therapiefreiheit hatte ihn vor Schlimmerem bewahrt. Aber Herr Hahnel würde den Rest seines Lebens wesentlich besser auf sich aufpassen müssen, als er es bislang getan hatte.

Perspektivenwechsel
    An jenem Sommertag im Reitstall ritt Helena auf dem prächtigen schwarzen Friesen einer Freundin. Alles lief gut, das Pferd war brav und tat alles, was sie von ihm verlangte. Als die Stunde fast vorbei war und niemand mehr damit rechnete, passierte es: Die Stute stolperte, knickte mit einem Bein ein und stürzte. Ein Pferd hat vier Beine – und damit zwei mehr als der Mensch. Dadurch gelingt es ihm im Normalfall, einen Sturz abzufangen und sich wieder aufzurappeln. Doch diesmal nicht. Es stürzte auf seine linke Seite und begrub Helena unter sich. Einfach so. 850 Kilo rollten auf ihren Beckenknochen. Etwas knackte – mehrfach. Dann liefen die Leute zusammen, und irgendjemand rief, sie solle sich nicht bewegen und liegen bleiben. Die Leute zückten ihre Handys. Der Notruf war aber nicht die einzige Nummer, die gewählt
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