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Das Herz des Jägers

Titel: Das Herz des Jägers
Autoren: Deon Meyer
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    |7| 1984
    Er stand hinter dem Amerikaner und wurde durch das Gedränge in der Metro beinahe an ihn gepreßt. Doch seine Seele befand sich weit entfernt an der Küste der Transkei, wo große Wellen donnernd an den Strand rollten.
    Er dachte an die Steine, auf denen er sitzen und die Schaumkronen beobachten konnte, die nach ihrer endlosen Reise über lange, einsame Weiten vom Indischen Ozean heranrollten, um sich schließlich gegen die Steine des dunklen Kontinentes zu werfen und hier zu zerschellen.
    Zwischen zwei Wellen entstand ein Augenblick absoluter Stille, Sekunden der vollkommenen Ruhe. Es war so still, daß er die Stimmen seiner Vorfahren hören konnte – Phalo und Rharhabe, Nquika und Maqoma, sein Blut, seine Herkunft und Zuflucht. Er wußte, daß er zu ihnen gehen würde, wenn seine Zeit gekommen war, wenn er die lange Klinge verspürte und das Leben aus ihm herausflutete. Er würde dann zu diesen Momenten zwischen den sich brechenden Wellen zurückkehren.
    Er wandte sich langsam, beinahe vorsichtig, wieder der Gegenwart zu. Er bemerkte, daß sie nur noch wenige Minuten von der Metrostation St. Michel entfernt waren. Er beugte sich vor, neigte sich etwa einen halben Kopf herunter, zum Ohr des Amerikaners. Seine Lippen waren so nah wie die eines Liebhabers.
    »Wissen Sie, wohin Sie reisen, wenn Sie sterben?« fragte er mit einer Stimme tief wie ein Cello, und in einem Englisch, das schwer war vom Akzent Afrikas.
    |8| Er wartete geduldig darauf, daß der Mann sich in der Enge des Wagens umdrehte. Er wartete, bis er seine Augen sehen konnte. Dies war der Augenblick, nach dem ihn dürstete. Konfrontation, der Beginn des Kampfes. Dies war seine Berufung – instinktiv, erfüllend. Er war ein Krieger aus den Weiten Afrikas, jede Sehne und jeder Muskel waren nur für diesen Augenblick geschaffen worden. Sein Herz schlug schneller, Energie erfüllte ihn, er war besessen vom göttlichen Wahnsinn des Kampfes.
    Zuerst wandte sich der Körper des Amerikaners ihm zu, ohne Eile, dann der Kopf, schließlich der Blick. Er sah einen Falken, einen Jäger ohne Angst, selbstsicher, sogar amüsiert, die Mundwinkel der dünnen Lippen hoben sich. Die Männer waren wenige Zentimeter voneinander entfernt, und zwischen ihnen herrschte eine eigenartige Intimität.
    »Wissen Sie es?«
    Die Augen schauten ihn an.
    »Denn bald werden Sie dort sein, Dorffling.« Er sagte den Namen voller Verachtung, es war die endgültige Kriegserklärung, die klarstellte, daß er seinen Feind kannte – er hatte den Auftrag akzeptiert, die Akte gelesen und auswendig gelernt.
    In dem gelassenen Blick war keine Reaktion auszumachen. Die Bahn verlangsamte ihre Fahrt und hielt in St. Michel. »Das ist unsere Station«, sagte er. Der Amerikaner nickte und ging, nur einen Schritt vor ihm, die Treppe hinauf in die umtriebige Sommernacht des Quartier Latin. Doch dann rannte Dorffling los. Den Boulevard St. Michel in Richtung der Sorbonne entlang. Er wußte, daß Opfer bekanntes Territorium bevorzugten. Dort vorne lag Dorfflings Wohnung, gleich um die Ecke vom Place du Pantheon. Dort befand sich auch seine Sammlung an Messern und Garrotes und Schußwaffen. Aber er hatte nicht mit Flucht gerechnet, er hatte gedacht, Dorfflings Ego wäre zu groß. Sein Respekt für den Ex-Marine, der zum CIA-Killer geworden war, nahm zu.
    |9| Sein Körper hatte instinktiv reagiert, die langen Beine ließen seinen massigen Körper rhythmisch vorwärts schnellen, zehn, zwölf Schritte hinter dem Fliehenden. Franzosen schauten ihnen nach. Ein weißer Mann, der von einem schwarzen Mann verfolgt wurde. Eine Urangst blitzte in den Augen auf.
    Der Amerikaner bog in die Rue des Ecoles, dann nach rechts in die Rue St. Jacques. Nun befanden sie sich in den Gassen der Universität, beinahe menschenleer in den Ferien im August, die uralten Gebäude düster, die Schatten abweisend. Mit langen, sicheren Schritten erreichte er Dorffling und stieß ihn mit der Schulter nieder. Der Amerikaner stürzte ohne einen Laut auf die Straße, rollte sich ab und richtete sich in einer geschmeidigen Bewegung wieder auf, kampfbereit.
    Er griff über seine Schulter nach dem gekürzten
Assegai
, das in der Scheide steckte, die sich an seinen Rücken schmiegte. Kurzer Griff, lange Klinge.
    »Mayibuye« ,
sagte er sanft.
    »Was für eine beschissene Sprache ist das, Nigger?»Die Stimme heiser, ausdruckslos.
    »Xhosa«, sagte er, und der harte Klang seiner Stimme brach sich scharf an den Hauswänden.
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