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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown
Autoren: Hansjörg Anderegg
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Firewall, das nur wenige Minuten offen war. Der Stromausfall war ein herber Rückschlag, aber Jen machte sich mehr Sorgen um das, was draußen an der Kreuzung geschah. Dennoch wagte sie nicht, hinauszublicken.
    »Wie sieht's draußen aus?«, fragte sie Jezzus leise.
    Der füllige Mann zuckte die Achseln. »Schlachtfeld«, meinte er, die Stirn runzelnd. »Schaust besser nicht hin. Hat eine Ewigkeit gedauert, bis Feuerwehr und Ambulanz eingetroffen sind.«
    Plötzlich fiel Jen ein, dass die Fünfte in ihrer Truppe fehlte. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. »Wo ist Linda?«
    Den andern schien Lindas Abwesenheit erst jetzt aufzufallen.
    Mike sah sie mit großen Augen an. »Verdammt, sie ging hinaus auf eine Zigarette, kurz bevor es ...«
    Mit großen Sätzen hetzte er zum Ausgang. Linda Liu, oder ›Troll‹, wie sie sich in ihren Kreisen nannte, weil sie während des Studiums in der Buchhaltung einer Bank gejobbt hatte, war sozusagen die Nabelschnur ihrer Truppe. ›Grey Hat‹ Hacker wie sie alle, hatte sie sich auf Computernetzwerke spezialisiert. Sie kannte sich mit den Netzwerkkomponenten auf Computerplatinen und in Telefonen genauso gut aus wie in der Steuersoftware, die für die Verbindung zu jedem offenen oder vermeintlich geschlossenen Netz sorgte. Ohne Troll hätte Jen ihre Spionagesoftware höchstens zum eigenen Ergötzen im lokalen Netz ihrer Kommune einsetzen können. Ein wenig schämte sie sich, dass ihr erster Gedanke an Linda sie mit einer Nabelschnur assoziierte. Sie spürte, wie sie errötete, wandte sich ab und ging zu ihrem Pult, um sich den Schaden anzusehen, den der Blackout angerichtet hatte. Der Computer forderte sie freundlich auf, Benutzername und Passwort einzugeben. Mit einer leisen Verwünschung loggte sie sich ein. Sie verwendete dieses Notebook der vorletzten Generation nur, um unabhängig vom Stromnetz arbeiten zu können, aber der alte Akku war offenbar endgültig gestorben. Sie hatte es gewusst, hätte längst einen Neuen besorgen müssen. Nun blieb ihr nichts anderes übrig, als zu versuchen, die heiklen Änderungen an ihrem Code seit der letzten Datensicherung aus dem Gedächtnis nachzuvollziehen.
    »Dauert wohl etwas länger, als ich dachte«, knurrte sie.
    Jezzus sah von seiner Arbeit am Spezialdrucker auf. »Was soll das heißen?«, fragte er gereizt. »Dir ist schon klar, dass uns die Zeit davonläuft.«
    »Gut, dass du mich daran erinnerst.«
    Es blieben ihnen noch genau fünfzig Stunden und dreiundzwanzig Minuten, um den Auftrag zu erfüllen, der sie wieder ein paar Monate über Wasser halten würde. Die Uhr mit dem unübersehbaren Countdown–Zähler hatte den Stromausfall unbeschadet überstanden. Jezzus fixierte sie weiter mit seinen undurchdringlichen Knopfaugen.
    »Keine Sorge«, beruhigte sie. »Ich schaffe meinen Teil schon. Der Trap war testbereit vor dem Stromausfall. Jetzt brauche ich eben nochmals zwei Stunden. Konnte ja niemand mit so etwas rechnen.«
    »Du bist gut!«, rief Mike lachend, der mit Linda im Arm zurückkehrte. »Genau um solche Blackouts zu verhindern geht es doch bei diesem Auftrag.«
    »Du meinst, das war ein Hack?«, fragte Emma, die noch immer am Fenster stand, gefesselt von Tod und Verwüstung, die in zwanzig stromlosen Minuten über die langweilige Gegend hereingebrochen waren.
    Linda löste sich von Mike. Seine zur Schau getragene Fürsorge war ihr peinlich. Wie üblich verfolgte sie die neusten Nachrichten auf ihrem Handy. »Ich glaube, davon können wir ausgehen«, antwortete sie nüchtern.
    »Wieso?«
    »Das war kein gewöhnlicher, lokaler Stromausfall, wenn man den News glauben kann. Ihr habt’s ja gesehen. Die ganze Umgebung wurde auf einen Schlag dunkel. Geschäftshäuser, Wohnhäuser, Verkehrssignale, der Flughafen, die hängen nicht alle am selben Stromkreis oder Transformator, und doch fiel alles gleichzeitig aus. Nicht nur hier und in Oakland, sondern in der ganzen Bay Area bis hinunter nach San Jose und hinauf ins Napa Valley. Da hat jemand gezielt die Hauptpfade ausgeschaltet.«
    »Das ist nur mit Software möglich«, gab Emma zu. »Vor allem, wenn man bedenkt, dass das Netz nach kurzer Zeit wieder da war.«
    Jezzus verzog das Gesicht zu einer Miene, als kaute er auf einer seiner geliebten, höllisch scharfen Habanero–Schoten, und sonderte eine weitere rhetorische Frage ab: »Ihr wisst schon, von welchem Netz wir hier reden?« 
    Achtzig Prozent der Stromleitungen des nördlichen Kalifornien lagen in der Verantwortung
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