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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown
Autoren: Hansjörg Anderegg
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»Anders ausgedrückt: Die Techniker in der Kommandozentrale haben den Ausfall gar nicht bemerkt auf ihren Bildschirmen, solang die Notstromversorgung noch funktioniert hat. Das ist doppelt fies.«
    »Vielleicht ist es noch viel schlimmer. Wer sagt denn, dass sie jetzt, in diesem Augenblick die richtigen Informationen auf ihren Bildschirmen haben?«
    Sie konnte Emma nur zustimmen. Das Kontrollsystem hatte während des Blackouts die Trennung der Zuleitungen und Umspannwerke vom Netz nicht erkannt. Die Trennung war aber nicht aufgrund von Hardwarestörungen erfolgt, wie Jim Ward im Fernsehen bestätigt hatte. Ein Software-Eingriff also. Soviel stand fest. Das konnte kein zufälliger Fehler sein. Da steckte System dahinter. Sie mussten versuchen, die falschen Steuerbefehle von den echten zu unterscheiden.
    »Bin schon dran«, brummte Emma, als sie den Vorschlag machte.
    Jen stand auf, um Emma in Ruhe arbeiten zu lassen. »Ich geh mich kurz ernähren«, kündigte sie an. »Soll ich was mitbringen?«
    Ihr Angebot interessierte niemanden, also verließ sie die Software-Fabrik. Die Nachtluft erfrischte wie eine kühle Brise nach mehr als einem Tag in der stickigen Fabrikhalle, obwohl die Temperatur um zehn Uhr abends immer noch über achtzig liegen musste. Es war der heißeste Sommer in der Bay Area, an den sie sich erinnerte. Die Kühlsysteme der Klimaanlagen liefen dauernd am Limit. Idealer Zeitpunkt für Stromausfälle , dachte sie, als sie zwei Blocks weiter den unterkühlten Coffeeshop betrat und sich an ihren Platz setzte, eine dämmrige Ecke, abgeschirmt von den übrigen Gästen durch die Kasse und unmittelbar neben dem Eingang.
    »Das Übliche?«, fragte die Bedienung im Vorbeigehen.
    Sie nickte stumm, zog das Handy aus der Tasche und begann zu lesen. Die bescheidene Speisekarte des Lokals hatte sie nur einmal angesehen. Frühstück war rund um die Uhr erhältlich. Das genügte ihr. Zwei Eier ›over easy‹, Polenta, zwei Scheiben Roggenbrot und zwei Tomaten. Sie aß das Zeug nicht, weil es ihr schmeckte, sondern weil sie wusste, dass der Organismus regelmäßig Kohlenhydrate, Eiweiß, Fett, Ballaststoffe und etwas Vitamine brauchte. Auf süße und saure Saucen verzichtete sie. Ihre Zunge konnte die Geschmackseindrücke sowieso nicht unterscheiden. Die Geschmacksknospen waren vor langer Zeit abgestorben. Das gehörte zur andern Geschichte, die sie jeden Tag vergessen wollte. Die Bedienung stellte den Teller auf die Plastik–Unterlage und ein Glas Wasser dazu. Der Geruch stimmte, also begann sie mit der Nahrungsaufnahme.
    Sie hatte den letzten Bissen kaum heruntergeschluckt, wollte sich wieder den News–Feeds auf ihrem Telefon widmen, als die Lichter erloschen. Im ersten Moment sah sie nichts mehr, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Ein paar Atemzüge blieb es vollkommen still. Die Ventilatoren der Lüftung rauschten nicht mehr. Dann begann das Raunen. Einzelne Gäste stießen Schimpfwörter aus, andere lachten, als die Finsternis anhielt. Nicht schon wieder! , dachte Jen ungehalten. Sie benutzte das Handy als Taschenlampe, um das Geld auf den Tisch zu zählen, während das Personal mit stoischer Ruhe Kerzen verteilte. Eilig huschte sie die dunkle Straße entlang, die sonst keine Nacht kannte, zur Fabrik zurück.
    Sie war keine zehn Schritte vom Tor entfernt, da barst eine Scheibe über ihr mit lautem Knall. Glas splitterte und Feuer fiel vom Himmel. Direkt vor ihren Füssen zerplatzte die Feuersäule. Flammen kreisten sie ein, streckten ihre höllischen Zungen aus wie damals nach dem kleinen Mädchen im Haus bei Parlier. Der dürre Weihnachtsbaum war vor ihren Augen explodiert. Gluthitze verbreitete sich rasend schnell in der engen Stube. Die Flammen versperrten den Weg zur Mutter, die stöhnend mit gebrochenem Bein und zerschundenem Gesicht am Boden lag. Jen schrie um Hilfe, bis sie keine Luft mehr in der Lunge hatte. Immer wieder versuchte sie vergeblich mit ihren kurzen Armen, einen Fuß zu erwischen, um die Mutter aus dem Feuer zu zerren. Die Kraft verließ ihren schmächtigen Körper. Sie konnte nicht mehr atmen. Glut spritzte ihr ins Gesicht. Sie wich zurück. Ihre nassen Augen sahen nur verschwommen, wie die Flammen auf Wände und Decke übergriffen, bevor sie in panischer Angst in die kalte Nacht hinaus floh. Leute rannten aufs brennende Haus zu, allen voran die schreckliche Gestalt ihres Vaters, der brüllend aus der Kneipe zurückkehrte an den Ort, wo er Mama halb tot geprügelt hatte. Jen
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