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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown
Autoren: Hansjörg Anderegg
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blickte kurz auf von seinem Bildschirm. »Gratuliere«, sagte er. »Hau dich aufs Ohr, Jen. Ich bin noch nicht soweit.«
    Sie nickte nur, ging zur Toilette, drehte das kalte Wasser auf, trank gierig und hielt den Kopf in den Strahl, bis sie wieder klar sehen konnte. Was für ein beschissenes Leben , dachte sie, als sie sich an die Szene der Familie Jackson erinnerte, Augenblicke bevor sie, zusammengerollt in ihrem Schlafsack, in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
    Die Gebläse der Server liefen auf Hochtouren und die Luft wurde allmählich stickig unter dem Blechdach der alten Fabrikhalle, als sie am späten Vormittag erwachte. Mike saß zusammengesunken am Pult, den Kopf neben der Tastatur auf der Tischplatte, und schnarchte. Niemand störte sich daran. Keiner wunderte sich. In ihrer Truppe lebte jede und jeder nach der eigenen Uhr und Philosophie. Am Ende zählte nur das Resultat.
    »Er hat deinen Code eingeschleust«, flüsterte Linda, um Mike nicht zu wecken.
    »Wann?«
    »Vor knapp zwei Stunden.«
    »Zwei Stunden – O. K., könnte reichen«, murmelte Jen und setzte sich an ihren Computer. »Mal sehen, ob einer angebissen hat.«
    Ihr Trap war eine raffinierte Softwarefalle, die tief in den Eingeweiden des Betriebssystems Nachrichten, die über das Computer-Netzwerk liefen, kopierte und verschlüsselt an ihr eigenes Analyse-System weiterleitete. Damit liessen sich der gesamte Datenaustausch zwischen den Komponenten des ›CGO‹ Kontrollsystems und die Verbindungen zu andern Computern unbemerkt überwachen. Ihr Trap funktionierte im Grunde genau gleich wie die Software, die man offiziell zur Netzüberwachung einsetzte, nur eben im Verborgenen, ohne Spuren zu hinterlassen. Noch etwas beherrschte ihr Programm. Es war imstande, die Logfiles zu identifizieren und zu lesen. In diesen zum Teil versteckten und besonders gesicherten Dateien zeichnete die ›CGO‹ Software selbst jede ihrer Nachrichten auf. So konnten die Techniker nachvollziehen, was zu welcher Zeit in ihren Systemen vorgegangen war. Wenn die ›Blacks‹ wirklich so clever waren, wie Jen vermutete, hatten sie die Einträge in diesen Logfiles so manipuliert, dass man den Grund für den Blackout nicht mehr finden konnte. Aber sie hoffte, die Manipulation zu entdecken.
    Jen winkte Emma herbei, denn das komplexe Programm, das die Unmengen an Daten analysierte, die ihr Trap während der zwei Stunden gesammelt hatte, stammte von der Mathematikerin. Emma setzte sich neben sie, schaltete zwei weitere Bildschirme zu und startete das Visualisierungsprogramm. Es war das erste Mal, dass sich die Myriaden von Nullen und Einsen aus der Kommandozentrale der ›CGO‹ zu farbigen, lebenden Bildern formierten, die anschaulich zeigten, wie die Software des Netzbetreibers die Hochspannungsleitungen, Umspannwerke, Transformatoren und Hauszuleitungen steuerte. Gespannt traten die Kollegen herbei. Stumm und staunend verfolgten sie, wie sich die grafischen Darstellungen von Emmas Programm nach und nach aufbauten, zu einem atemberaubenden Gesamtkunstwerk verschmolzen, das die Komponenten und Verbindungen des ›CGO‹ Computernetzwerks und das ungemein komplexe, wie ein gigantischer lebender Organismus pulsierende Stromnetz des nördlichen Kalifornien darstellte. Es war, als gingen tausend Fenster und Türen gleichzeitig auf und gäben die Sicht frei auf eine bisher verborgene Welt. Jen kannte dieses Gefühl, trotzdem war die Erfahrung jedes Mal neu und überwältigend.
    Emma drückte die Leertaste, worauf die verwirrenden, blinkenden Bilder zu einem abstrakten Gemälde gefroren. Der Tastendruck hatte die Zeit angehalten. Zum ersten Mal konnten sie das komplizierte Netz in Ruhe studieren. Emma fuhr mit dem Mauszeiger auf eine der Hochspannungsleitungen des ›Moss Landing‹ Gaskraftwerks an der Monterey Bay, das mit einer Leistung von zweieinhalb Gigawatt zu den größten und wichtigsten Elektrizitätsversorgern Kaliforniens gehörte. Ein Klick genügte, um die anderen Leitungen auf der Grafik auszublenden. Der Bildschirm zeigte jetzt den weitverzweigten Baum aller Verteilstationen und Verbindungen, die von dieser einen Zuleitung gespeist wurden. Unterschiedlich dicke und farbige Striche stellten die prozentualen Anteile dar, die von dieser Quelle zu den Verbrauchern floss. Emmas Programm offenbarte so auf einen Blick, wie wichtig welche Stromquelle in diesem Augenblick für jeden Landstrich, jede Stadt, jedes Quartier, jeden Straßenzug war. Es herrschte angespannte
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