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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown
Autoren: Hansjörg Anderegg
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konstruktiven Bemerkung an, wurde aber von einer schneidenden Stimme unterbrochen. Alle Köpfe drehten sich zur Galerie am andern Ende der Halle, wo die Jacksons wohnten, eine matriarchalische Gesellschaft aus einem arbeitslosen und scheinbar willenlosen Säufer, zwei jungen Kleinganoven und der Mutter, die ungefähr einmal am Tag ausrastete, denn sie war die Einzige der Familie mit einem funktionierenden Hirn. Sie schrie sich die Lunge aus dem Leib, stieß ihren nutzlosen, torkelnden Mann aus dem Büro, das als Wohnzimmer diente, warf ihm die Flasche nach, dass sie am Geländer zerbarst und der billige Fusel in die Maschinenhalle hinunter tropfte. Dann schlug sie die Metalltür mit einem letzten wüsten Fluch zu. Jen wusste, was jetzt folgen würde. Die zerbeulte Tür schloss nicht. Sie prallte kreischend zurück. Ein Spalt blieb offen, und der Mann steuerte sofort auf wankenden Beinen darauf zu. Seine wütende Gattin wartete, bis er nah genug war, dann versetzte sie der Tür einen harten Stoss. Der Mann verlor das Gleichgewicht, plumpste benommen auf seinen Hintern, kippte um und blieb liegen wie ein nasser Sack. »Wag es nicht, hereinzukommen, bevor du deinen Suff ausgeschlafen hast, verstanden?«, rief ihm die Frau nach.
    Jen grinste wie die andern. Sie hatte kein Mitleid mit dem Mann. Nicht mit einem Säufer. Allerdings hatte sie vergessen, was sie sagen wollte.
    »Die Vorstellung ist vorbei. Wir können weitermachen«, meinte Emma trocken. »Wir nehmen also mal an, die ›Blacks‹ hätten auch Zugriff aufs Kontrollsystem des Stromnetzes. Ändert das irgendetwas an unserm Vorgehen?«
    »Nein, aber am Ziel«, rief Jezzus aus. »Verdammt, Leute, wir stehen unter Druck. Es genügt nicht mehr, der ›CGO‹ die Schwachstellen zu demonstrieren. Wir müssen aufzeigen, wie die ›Blacks‹ eingedrungen sind und wie sie das Netz abgeschaltet haben, und zwar bevor die Techniker bei ›CGO‹ selbst draufkommen.«
    Mit einem Mal richteten sich alle Blicke auf Jen. »Was?«, fragte sie irritiert.
    »Dein Trap ...«
    »Mein Code wird bereit sein, bevor Mike das Loch in der Firewall wieder gefunden hat«, brummte sie ärgerlich.
    Für sie war die Sitzung beendet. Sie schlurfte zurück an ihren Computer und machte sich an die Arbeit. Sie startete nur die notwendigen Prozesse für die Programmierung und Fehlersuche, verzichtete auf alle Nachrichten-Feeds und sonstigen Fenster zur digitalen Außenwelt, die nur ablenkten. Sogar die Uhr mit dem nervenden Sekundenzähler blendete sie aus. Konzentration, Fokussierung auf eine Aufgabe, die unter Hochdruck erledigt werden musste, waren Übungen, die sie gut beherrschte, immerhin so gut, dass sie noch lebte. Wenn sie so in die Arbeit versank, war sie nicht ansprechbar. Jeder in der Truppe wusste es und versuchte gar nicht erst, sie zu stören. Es musste schnell gehen, denn sie traute dem Netz nicht mehr, rechnete jederzeit mit dem nächsten Stromausfall. Niemand hatte den Gedanken ausgesprochen, aber sie wusste, dass er auch in den andern Köpfen hauste: was, wenn der verheerende Blackout nur die Hauptprobe war?
    Sie bemerkte nicht, wie jemand einen Becher mit heißem Kaffee auf ihren Tisch stellte, aber der Duft wirkte wie ein Schlüssel zur Erinnerung an die verlorenen Programmänderungen. Ihr Geruchsorgan war seltsam verdrahtet, anders als bei allen Menschen, die sie kannte. Niemals vergaß sie einen Geruch und mit ihm die Umstände, unter denen sie ihn gerochen hatte. Oft erzeugten die Gerüche lebendige Bilder der Vergangenheit, die kaum von echten Sinneseindrücken zu unterscheiden waren. Sie glaubte zu wissen, woher das kam, aber das war eine ganz andere Geschichte. Der Duft des lange gerösteten Kaffees zerriss den Schleier in ihrem Kopf. Sie sah die Änderungen so deutlich vor sich, dass sie nur abzutippen brauchte. Sie ließ den ›Build‹ laufen, um ein ausführbares Programm für die Tests zu erhalten. Zuerst prüfte sie die Wirkung lokal, auf ihrem eigenen Computer, dann im geschlossenen Netzwerk, in dem die Truppe das Verhalten aller Komponenten ihrer Spionagesoftware beobachtete, bevor sie den Code in externe Systeme schleuste. Schließlich holte sie die Uhr auf den Bildschirm zurück. Zwei Uhr morgens, geschafft! Ihre Glieder schmerzten. Die Augenlider drohten ihr zuzufallen. Konturen verschwammen wie nach zu vielen Joints. Ihre Kehle stand in Flammen, so trocken war sie. Sie begann heftig zu husten, schnappte nach Luft und fühlte sich rundum glücklich.
    Mike
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