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Geliebter Lord

Geliebter Lord

Titel: Geliebter Lord
Autoren: Karen Ranney
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Prolog
    September 1782
    S chottland hieß Hamish MacRae mit dunklen, schweren Wolken am Himmel willkommen. Der Wind kam von Norden, und die Kälte drang durch Mark und Bein.
    Hamish freute sich auf das heraufziehende Highland-Gewitter, sehnte die ungezügelte Wut der Elemente regelrecht herbei. Er würde mittendrin sein, die Arme gen Himmel gestreckt, und dem Blitz ein Ziel bieten. Vielleicht würde Gott ihn damit für all seine Sünden bestrafen.
    »Da!« Er deutete auf eine Linie am Horizont, gleich dem Rücken eines Drachens. Auf dem letzten Höcker saß ein Castle, das er von einem früheren Besuch in Schottland kannte. Es stand wie ein Wachtposten auf einer dem Ufer des Sees vorgelagerten Felseninsel und war durch eine Steinbrücke mit diesem verbunden.
    »Ich habe schon schlechter gewohnt.«
    Auch Gilmuir, der Stammsitz ihrer Familie, war eine Ruine gewesen. Der älteste Bruder hatte sich in den Kopf gesetzt, das Castle wiederaufzubauen, und Hamish bezweifelte nicht, dass Alisdair in den drei Jahren, die sie unterwegs gewesen waren, Wunder vollbracht hatte.
    »Setz mich dort ab.« Hamish wünschte, seine Kehle würde sich nicht derart wund anfühlen. Er würde lernen müssen, sich an den neuen Klang seiner Stimme zu gewöhnen, wie auch an andere bleibende Schäden aus seiner Zeit in Indien.
    Sie standen vorn am Bug. Brendan trat einen Schritt näher an die Reling, als könnte er das Gemäuer so besser sehen.
    »Dort kann man nicht überleben.«
    »Was nicht unbedingt gegen den Ort spricht.« Ein ironisches Lächeln umspielte Hamishs Mund.
    »Darüber macht man keine Scherze.«
    Brendan war in den vergangenen drei Monaten sein Sinn für Humor abhanden gekommen, während Hamish einen Hang zum Sarkasmus entwickelt hatte.
    »Also gut – wie sollte ich mein zukünftiges Leben denn deiner Meinung nach gestalten?«
    »Du könntest wieder zur See fahren.«
    Hamish neigte lächelnd den Kopf. »Natürlich könnte ich das. Ich bin ein Kapitän, der nicht nur seine Mannschaft und sein Schiff verloren hat, sondern auch die Herrschaft über einen Arm. Wer würde nicht mit mir segeln wollen?«
    Dass Brendan darauf nichts sagte, überraschte ihn nicht. Nicht einmal sein Bruder könnte ein Heilmittel für das Wrack finden, das aus ihm, Hamish, geworden war.
    Das Lächeln wurde ihm zu anstrengend, und so ließ er es.
    »Du bringst mir, was ich brauche?«
    »Das weißt du doch«, antwortete Brendan. »Was soll ich den anderen sagen?«
    Mit den »anderen« waren ihre älteren Brüder Alisdair und James gemeint. Hamish liebte die beiden, aber er hatte weder das Bedürfnis nach ihrer Gesellschaft noch nach ihrem Verständnis. Und auch nicht nach ihrem Mitleid.
    »Sag ihnen, was du willst, Brendan. Irgendetwas, was sie von hier fernhält. Die Wahrheit, wenn es sein muss.«
    »Und was ist die Wahrheit, Hamish? Mit der hast du gegeizt, seit wir Indien verlassen haben.«
    Was erwartete Brendan von ihm – einen Bericht über seine Zeit in der Gefangenschaft? Falls ja, musste er ihn enttäuschen. Es gab Dinge, die Hamish niemandem erzählen würde.
    Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Castle.
    Das Ufer der kleinen Insel war steinig; hinter dem schwarzen Brandungsgeröll lag mehrfarbiges, grau, schwarz und braun. Jenseits der Brücke schmiegte sich eine Reihe von Kiefern an den Weg wie ein grüner Rüschenkragen an den Hals einer Matrone.
    Hamish hatte das Castle insgeheim
Aonaranach
getauft, was auf Gälisch »einsam« bedeutete. Es war offensichtlich verlassen, wie so viele andere Wohnsitze in den Highlands. Früher hätte sich Hamish vielleicht gefragt, warum, heute jedoch vermochte er weder Interesse noch Mitgefühl für die ehemaligen Bewohner aufzubringen. Das einzig Wichtige für ihn war die Tatsache, dass das Castle leer stand und ihm eine Art Zuflucht bot.
    »Wenn du dich schon verkriechen willst, solltest du dir dafür zumindest eine einigermaßen anständige Höhle suchen«, sagte Brendan in seine Gedanken hinein.
    Hamish sah seinen Bruder stirnrunzelnd an. »Das Castle ist genau das Richtige für mich – verlassen und weitab von jeglicher Siedlung.«
    »Mir gefällt das nicht.«
    »Ich kenne deine Ansichten, Brendan – du hast sie mir deutlich dargelegt.«
    »Aber sie kümmern dich nicht, oder? Dein Entschluss steht fest, nicht wahr?«
    Hamish nickte. »Ich werde nicht nach Gilmuir zurückkehren.« Als sie Indien verließen, war er zu krank gewesen, um sich Brendans Plänen zu widersetzen. Inzwischen war er
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