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Shiva Moon

Shiva Moon

Titel: Shiva Moon
Autoren: Helge Timmerberg
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Hähne von Scarlets Spülbecken weiter. In diesem kleinen, schlanken Behälter wohnt die Maus.
    «Das glaube ich nicht», sagt Scarlet, als ich ihr beim Frühstück davon berichte. «Da würde sie ja ertrinken.»
    «Wenn sie den Kopf hoch genug hält, vielleicht nicht.»
    «Die wohnt nicht im Wasserfilter, Helge.»
    «Die wohnt nicht im Wasserfilter! Die wohnt nicht im Wasserfilter! Ich habe sie ja nur darin verschwindensehen. Und sie kam nicht wieder raus. Jedenfalls nicht, solange ich in der Küche war. Okay, vielleicht hat sie sich im Wasserfilter auch nur versteckt. Und vielleicht zum ersten Mal. Und ist daran jetzt verreckt.»
    Da stehen unsere Gläser mit dem gefilterten Wasser. Meins habe ich nicht angerührt, ihres ist halb leer. Scarlet ist kurz irritiert, aber dann siegt die Afghanistan-Kämpferin. Sie trinkt noch einen Schluck und wechselt das Thema. Meine Pläne? Was ich in Indien will? – Wahrscheinlich dasselbe wie immer. – Aha. Und was noch?– Ein Buch schreiben. – Aha. Worüber? – Den Ganges. Von der Quelle bis zur Mündung. Scarlet sieht mich so belustigt an, wie das nur eine Lady aus der englischen Oberschicht kann. «Also non-fiction», sagt sie. «Ja», sage ich, «non-fiction, und ich weiß, du hast gerade einen Roman geschrieben. Und ich weiß, beim Roman fängt das Schreiben erst an. Und ich weiß auch, dass dir jetzt das Frühstück wieder besser schmeckt, Scarlet. Und im Übrigen hast du es hier richtig nett.»
    Das Frühstück findet auf der Terrasse statt, die groß genug ist, um drei bequemen Stühlen, einem Tisch, mehreren tropischen Topfpflanzen und dem Bewegungstrieb eines Hundes Platz zu bieten, eines Hundes, der sich gebessert hat. Krishna ist zwar noch immer ein geiler indischer Straßenköter, aber er hat offensichtlich die eigene Art als Sexualpartner entdeckt. Er steht aufgerichtet am Geländer der Terrasse und hechelt zum Park rüber, in dem seine Freundin gerade Auslauf hat. Park ist eigentlich zu viel gesagt. Und Garten wäre zu wenig. Ein eingezäunter Minipark, eine liebevoll bepflanzte Grünfläche für die Bewohner der umliegenden Häuser. Villen. Residenzen. Hier haben Britenwährend der Blüte ihres Imperiums gebaut, und die Neubauten dazwischen haben sich dem Stil angepasst. Umrahmt wird die Idylle von einer Mauer, die zur Zeit der Mogul-Herrschaft errichtet worden ist. Alte Steine, schönes Licht, teure Autos, wie halt ein guter Tag beginnt. Außer um mit Scarlet zu quatschen, sollte ich ihn dafür nutzen, mir ein Zugticket und warme Kleidung zu besorgen. Ich muss in den Himalaya. Und zwar ziemlich hoch rauf. «Die Quelle liegt auf viertausend Meter», sagt Scarlet. Sie hat im «Lonely Planet» nachgeschaut. «Und ich fürchte, du musst dich beeilen. Das ist der Nachteil von non-fiction, Sweetheart» . (sie klappt den Reiseführer wieder zu), «sie schließen demnächst die Pässe. Und hast du eigentlich mitbekommen, dass Tiziano letztes Jahr gestorben ist?»
    Jetzt bin ich ein bisschen von den Socken. Tiziano Terzani, der Ex-Reporter-Star des «Spiegel». Ich habe mal auf einer Party des «Foreign Correspondents’ Club» mit ihm gekifft. Er sagte damals, er habe früher nie gekifft. Erst als sein Sohn zu kiffen aufgehört habe, habe er damit angefangen. Was ist nur mit meinem Indien los? Es stirbt rechts und links.
    «Krebs», sagt Scarlet.
    «Lungenkrebs?»
    «Wahrscheinlich.»
    Wieder Flashback zur Party. Tiziano hat mich gefragt, wie viele Zigaretten pro Tag ich rauche. Als ich es ihm sagte, hat er so komisch geguckt. Er hatte zu diesem Zeitpunkt den Krebs besiegt. Das war vor fünf Jahren. «Hast du sein Buch gelesen?», fragt Scarlet. «Nein, aber er hat mir die Geschichte erzählt.» «Fliegen ohne Flügel» geht auf eine Prophezeiung zurück. EinWahrsager wies ihn 1976 darauf hin, dass er 1993 bei einem Flugzeugunglück sterben werde, falls er 1993 mit einem Flugzeug flöge. Tiziano nahm deshalb in diesem Jahr keine Geschichten an, für die er hätte fliegen müssen. Er fuhr entweder mit dem Auto, mit dem Schiff oder mit der Bahn. Anders ging es nun mal nicht. «Der Spiegel» machte da mit, weil der Mann brillant war und alle an die Wand schrieb. 1993 passierte in Asien irgendein Scheiß. Man fragte Tiziano, der in Bangkok weilte, ob er da hinfahren kann, aber Tiziano sagte, bis er mit dem Zug sein Ziel erreicht, ist der Scheiß wieder vorbei. Also schickten sie einen anderen hin. Die Maschine, mit der er unterwegs war, stürzte ab. Und was mich an
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