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Shiva Moon

Shiva Moon

Titel: Shiva Moon
Autoren: Helge Timmerberg
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diesem Tatbestand jetzt so kirre macht, ist Folgendes: Ich habe mal einen Astrologieprofessor in Varanasi gefragt, ob die Astrologie den Zeitpunkt und den Ort des Todes exakt berechnen kann, und er hat ja gesagt, das geht. Dann habe ich ihn gefragt, ob man mit dem Wissen um diese Voraussage den Tod umgehen kann, und er hat nein gesagt, das geht nicht. Aber wenn mir prophezeit wird, dass ich dann und dann in Varanasi sterben werde und deshalb nie mehr nach Varanasi reise, was ist dann? Dann wird es Gründe geben, dass du nach Varanasi zurückkommen MUSST, hat der Astrologieprofessor daraufhin gesagt. Beweist Tizianos Geschichte, dass der Professor irrt, oder bestätigt sie ihn? Tiziano hat das Jahr 1993 überlebt. Aber danach hat er Krebs gekriegt. Das war das eine, was mich flippte. Das andere: Ist das langsame Sterben nicht härter als das schnelle? Weil man weiß, dass man sterben wird, und weil man ab jetzt nur noch verliert? Und weil man im Kopf tausendmalstirbt, bevor es wirklich passiert? Und müssen wir nicht irgendwann alle sterben? Irgendwann, das ist ein merkwürdiges Wort. Es suggeriert noch jede Menge Zeit. Warum, ist mir schleierhaft, denn «irgendwann» legt sich in keiner Weise fest. Irgendwann kann irgendwann sein, aber irgendwann ist auch gleich, also sofort nach jetzt.

2.   Scarlets Yogalehrer
    Gegen Mittag kommt Scarlets Yogalehrer. Er ist schlank und drahtig, hat einen silbergrauen, kurz gestutzten Vollbart, auch seine Haare sind silbergrau. Eine gepflegte silberne indische Erscheinung um die vierzig. Sie machen ihre Übungen auf dem Teppich im Salon.
    Yoga ist nichts Statisches. Nichts Totes. Innerhalb der letzten sechstausend Jahre hat es jeder Yogameister mit seiner persönlichen Note bereichert. Das Verdienst dieses Meisters scheint darin zu bestehen, dass er das Yoga von der Zeitlupe befreit. Das geht alles ziemlich zack, zack bei ihm, und er unterhält sich dabei mit Scarlet über eigentlich jedes vorstellbare Thema, nur nicht, zum Beispiel, übers Atmen. Darauf angesprochen, reagiert er, wie Miles Davis auf die Frage reagiert hätte, warum er keine Volksmusik spielt. Auch das fällt auf an diesem Yogalehrer. Er überzieht jede Geste. Er ist theatralisch.
    «Ach, das Yoga der Veden», sagt er und wirft dabei ein Bein um seinen Hals. «Für diesen Scheiß müssen Sie nach Rishikesh fahren.»
    «Genau das habe ich vor. Aber erst muss ich noch nach Gangotri.»
    «Sie wollen an die Quelle des Ganges?» Scarlets Yogalehrer nimmt fast erschrocken das Bein wieder runter. «Da ist es aber jetzt scheißkalt.»
    Der Mann ist goldrichtig. Nachher sitzen wir auf Scarlets Terrasse, und ich erfahre mehr über ihn. Er ist staatlich geprüfter und autorisierter Yogalehrer, seine Schüler sind in- und ausländische Journalisten, Botschaftsangehörige, wie zum Beispiel der Botschafter von Schweden, Politiker, Schriftsteller, Manager, zwanzig Schüler insgesamt, keine Klasse. Nur Hausbesuche. Als Scarlet ihn fragt, ob er auch eine Bollywood-Schönheit oder ein Model in seinem Kreis habe, schaut er ein bisschen nach rechts oben in einer Weise, die nur ein schwuler indischer Yogalehrer draufhat, dem man langweilige heterosexuelle Absichten unterstellt. Er wendet sich zu mir und fragt nach meinen Reiseplänen. Wann soll es losgehen? Und wann schließen eigentlich die Pässe? «In einer Woche», antwortet Scarlet für mich. «Und er braucht fünf Stunden mit dem Zug und dann nochmal fünfzehn Stunden mit dem Taxi, bis er da ist.»
    «Plus drei Tage zu Fuß.» Das bin ausnahmsweise mal ich.
    Scarlets Yogalehrer bietet mir an, mich zum Bahnhof zu begleiten, um mir beim Kauf der Zugkarte zu helfen. Wir nehmen eine Motorrikscha. Das ist ein Kraftfahrzeug mit drei Rädern. Vorne eins, hinten zwei. Der Fahrer lenkt es wie ein Motorrad, auf der Rückbank ist bequem Platz für zwei, es passt aber auch eine komplette indische Großfamilie rein, und dazu ein an denPfoten zusammengebundenes Hängebauchschwein. Die Motorrikschas kosten nur halb so viel wie ein Taxi. Das ist ihr Vorteil. Ihr Nachteil: Bei einem Unfall hat man keine Chance. Entweder es schmeißt einen raus, oder man knallt gegen die Metallstangen, die rechts und links und über einem sind. So sind Rikschas gebaut. Überall Stangen. Der andere Nachteil: Man sitzt an der frischen Luft. Es stimmt zwar, dass sie die Luftverschmutzung in New Delhi durch konsequente Umstellung aller öffentlichen Busse, Taxis und Rikschas auf Gasmotoren wieder so weit vermindert
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