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Shiva Moon

Shiva Moon

Titel: Shiva Moon
Autoren: Helge Timmerberg
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hundred rupees only, Sir.»
    Die freien Taxis haben nur die Hälfte gekostet, aberwas ist schon Geld gegen das relative Gefühl von Sicherheit?
     
    Ich habe mich also für Scarlet entschieden. Eine ihrer vielen guten Seiten ist, dass man sie nach sieben Jahren nachts um vier unangemeldet besuchen kann, ohne dass sie dabei sonderlich die Fassung verliert. Sie umarmt mich, sie sagt «unglaublich», sie fragt, ob ich einen Tee will, sie zeigt mir das Gästezimmer und erzählt mir kurz das Wesentliche. Sie hat sich von ihrem Freund getrennt, ihr Verleger überweist kein Geld, und es gibt Ärger mit ihrem Pressevisum. Wenigstens bei ihr ist alles beim Alten geblieben.
    Scarlets Mutter war das schönste Mädchen von Sri Lanka, Scarlets Vater war der hässlichste in Asien tätige britische Anwalt, der vorstellbar ist, durch die Güte der Gene haben ihr beide nur das Beste von sich geschenkt. Kindheit in Ceylon, Schule in London, mit achtzehn reiste sie über Land nach Indien, und bevor sie sich entschloss, Journalistin zu werden, hat sie sich in verschiedenen Berufen (Drogenschmuggel, Nachtclubtätigkeiten) bewährt. Als ich sie kennen lernte, war Scarlet Asienkorrespondentin des «Daily Telegraph». Am liebsten machte sie Afghanistan-Reportagen. Den Tapferkeitsorden des «Foreign Correspondents’ Club of South Asia, New Delhi» erwarb sie sich, indem sie einen Taliban-Offizier ohrfeigte, der ihr blöd gekommen war. Vor versammelter Mannschaft. Dass sie danach nicht erschossen, gesteinigt, zu Tode gepeitscht oder sonst wie exekutiert wurde, lag an der Selbstverständlichkeit, mit der sie die Ohrfeige gegeben hatte. Oder an der Unmissverständlichkeit. Das war nichtFrau gegen Mann oder Ungläubige gegen Moslem, das war blütenreiner, in die Wiege gelegter und natürlich gelebter Kolonialismus. Sorry, Herr Taliban und Ex-Eseltreiber, aber wer nicht hören will, muss fühlen, oder? Inzwischen ist Scarlet Romanautorin geworden. Sie will mir morgen davon mehr erzählen. O Gott, ich hätte es wissen müssen. Privat nach einem Interkontinentalflug abzusteigen hat seine ganz eigenen Tücken.
    Scarlets Gästezimmer ist ideal, fast verträumt, märchenhaft. Das erhöhte Bett hat vier Pfosten mit einem Himmel und erinnert an Tausendundeine Nacht. Draußen heulen Hunde. Ich kann nicht einschlafen, und um auf andere Gedanken zu kommen, könnte ich onanieren, lesen oder meditieren. Ich entscheide mich für den Weg der Mitte, also lesen. Der Weg der Mitte. Mit ihm konnte ich erst ab fünfzig was anfangen. Inzwischen bin ich dreiundfünfzig und habe Übung darin. Der Weg der Mitte ist der Weg der kontrollierten Langeweile.
    Ich lese einen Roman von Tom Wolfe. Lieber würde ich jetzt einen Roman von Kipling lesen, «Kim» zum Beispiel, oder einen Roman wie den «Palast der Winde» oder «Das indische Grabmal», denn ich bin in Indien, im geheimnisvollen, magischen Indien. Aber nein, Tom Wolfe. «Die Zeit» will eine Rezension von mir. In Indien Tom Wolfe zu lesen ist, wie in einer Kantine der New Yorker Börse Sanskrit zu studieren. Es funktioniert, weil Yin und Yang funktioniert. Die ewige Beziehungskiste der Pole. Fabelhafter Satz. Ich komme in Form. Ob Scarlet Bier in der Küche hat? Sie hat. Und sie hat eine Maus. Ich überrasche den Nager zwischen Kühlschrank und Herd. Die Maus gibtGas und verschwindet (ich glaub es nicht) im Wasserfilter. Die Maus wohnt im Wasserfilter. Na dann gute Nacht.
    Kein Ausländer und kein Inder ab Mittelschicht aufwärts trinkt in New Delhi das Wasser so, wie es aus dem Hahn kommt. Tut er es doch, wird er die nächsten fünf bis sieben Tage, wenn er Pech hat, auch die nächsten zwei Wochen alles, was er in sich hat, von sich geben, oben wie unten. Diese Krankheit wird Delhi-Belly genannt. Streng genommen ist es keine Krankheit, sondern eine Umstellung des Immunsystems. Es wird einer anderen Welt von Bakterien angepasst. Und wer sich nicht anpassen will, muss von morgens bis abends hellwach sein. Salat wird mit diesem Wasser gewaschen, Früchte werden mit diesem Wasser gewaschen, das Eis im Whiskey ist aus diesem Wasser gefroren, und bei den Mineralwasserflaschen musst du aufpassen, dass der Drehverschluss unversehrt ist, sonst ist auch da diese Kloake drin, die in New Delhi aus dem Hahn kommt. Also Wasserfilter. Sie fallen nicht auf, weil sie so unauffällig sind. Ein kleiner, schlanker Behälter, an die Küchenwand geschraubt, nimmt das Wasser direkt von der Leitung auf und gibt es gefiltert an die
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