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Shiva Moon

Shiva Moon

Titel: Shiva Moon
Autoren: Helge Timmerberg
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kommen, und da leben immerhin 17,4   Millionen Menschen. In Delhi leben nur 13,8   Millionen Menschen, und sie haben auch keinen Seehafen. Aber dafür haben sie die Ufer des Yamuna, und der ist schon kein verdreckter Fluss mehr, der ist die flüssige Pest schlechthin. 27,6   Millionen Ratten auf 1482   Quadratkilometern, da kann es durchaus mal vorkommen, dass sich zwei davon ins «United Coffee House» verirren.
    «Können Sie schweben?», frage ich.
    «Was?!»
    «Levitieren.»
    «Beim Meditieren abheben? Nein. Und ich habe auch noch niemanden gesehen, der das kann.»
    «Aber ich. Auf Fotos in einem deutschen Magazin. Schüler der Transzendentalen Meditation schwebten fünf Zentimeter über dem Boden. Sie haben fünftausend Euro dafür bezahlt.»
    Eine Gabel fällt in ein südindisches Gericht. Scarlets Yogalehrer starrt mich an. «Die schweben nicht! Die hüpfen. Das sind Muskelreaktionen, ausgelöst durch eine besondere Atemtechnik, mehr nicht. Fünftausend Euro für fünf Zentimeter, ich fasse es nicht. Ich muss in den Westen. Ich muss!»
    Ich setze noch einen drauf. Ich habe gelesen, dass es allein in den USA zwölf Millionen Yogaschüler gibt. Yoga aller Art. Sogar FK K-Yoga . Mit Sex habe das allerdings nichts zu tun, meinten die Nackten. Was ich damit sagen will? Da hat sich etwas getan. Da ist etwas gewandert. Von rechts nach links, von Ost nach West. Bei uns explodiert die Spiritualität, in Indien das Bruttosozialprodukt.Ein Pragmatiker wie Scarlets Yogalehrer würde im esoterischen Westen glatt verhungern. «Nee, bleiben Sie mal besser in Ihrem Land. Auch wenn’s manchmal wehtut.»
    Apropos manchmal: Während unseres Gesprächs kommt mir manchmal, aber wirklich nur manchmal, der Gedanke, ob Scarlets Yogalehrer ein kleines Entgelt für seine Hilfe, für seine Begleitung erwartet. Ein trauriger Gedanke, aus traurigen Erlebnissen geboren. Aber im «United Coffee House» kommt von ihm nichts dergleichen, und auf der Straße kommt auch nichts. «Ich würde Ihnen gern ein Taxi nach Hause spendieren», sage ich, als ich ihn am Connaught Place zum Bus begleite, aber er will nichts davon hören.
    Der Connaught Place ist das Herz von New Delhi. Rund gebaut, in Blocks aufgeteilt und von einer sechsspurigen Straße umgeben, die gern auch zwölfspurig genutzt wird. Wir gehen durch die Kolonnaden und durch ein friedliches Nebeneinander von Alt und Neu. Das alte Indien ist draußen und verkauft an kleinen Ständen Schnürbänder, Postkarten, Kautabak und einzelne Zigaretten, das neue Indien ist drinnen und bietet in seinen Schaufenstern die kosmopolitische Vielfalt der Marken an. In welchem Indien werde ich ein Schweizer Messer finden? «Im Swiss-Knife-Shop, Block D», sagt Scarlets Yogalehrer und führt mich hin. Und nein, ich soll mich nicht für das große Rambo-Jagdmesser entscheiden, mit dem man Schneeleoparden Paroli bieten kann, sondern für ein mittleres, eher kleines Schweizer Kompakt-Überlebensprogramm. Eine solide Klinge, um Äpfel zu schälen, ein Flaschenöffner und ein Korkenzieher, das reicht, sagtScarlets Yogalehrer, und ich halte mich daran. Wenig später dann verschwindet der silbergraue Ehrenmann im Ozean der 1,2   Milliarden. Big Mother India hat ihn verschluckt.

3.   Böse Tomaten
    Es sind immer die Kleinigkeiten, die einen reinreißen. Die großen Fallen übersieht man nicht. Ich hatte im «United Coffee House» ein Tomatensandwich gegessen. Im Tomatensandwich sind Tomaten. Die Tomaten werden mit Leitungswasser gewaschen, ein Toaster hätte die Bakterien zu Tode gegrillt, aber ich hatte «untoasted» bestellt.
    Die Magenkrämpfe beginnen am Abend, dann kommt das große Klappern, das Erbrechen und das Sonst-wie-im-Bad-von-Scarlets-Gästezimmer-Rumhängen. «Delhi-Belly», das ist was anderes als «Jingle Bells», aber so schlimm, wie meine Gastgeberin glaubt, ist es nun auch wieder nicht. Ich übertreibe ein wenig. Ich tue es aus Prinzip. Es ist eine Technik zur Beschleunigung des Krankheitsverlaufs. Delhi-Belly ist, wenn man Glück hat, eine leichte, und wenn man Pech hat, eine fette Diarrhöe. Aber sie ist keine Malaria. Sie ist kein Gelbfieber. Sie ist nicht tödlich. Die Technik zur Beschleunigung des Krankheitsverlaufs ignoriert das. Man stöhnt und jammert wie im Ernstfall. Laut vorgetrageneFiebermonologe machen Scarlets Bettruhe zu schaffen, glücklicherweise versteht sie kein Deutsch. Ich erkläre es mal Schritt für Schritt. Oder Phase für Phase. Oder Transformation für
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