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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper
Autoren: Nicholas Meyer
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Sie, daß die wasserdichten Kammern nur bis zum Deck E reichten?«
    »Ich versichere Ihnen, es steht in der Zeitung, mein lieber Freund. Die meisten Tatsachen stehen dort, wenn Sie geduldig und gründlich genug sind, um sie aufzustöbern – wie ein Schwein seine Trüffeln. Der Rest ist dann lediglich eine Reihe vernünftiger Schlußfolgerungen, die sich in diesem Falle natürlich nicht beweisen lassen, da kein Mensch das unglückselige Schiff jemals wieder betreten wird.«
    In der Stille, die für meinen Besuch so charakteristisch war, verbrachte ich einen guten Teil meiner Zeit mit der umfassenden Neuordnung und Durchsicht der reichhaltigen Notizen, die ich mir zu verschiedenen Fällen gemacht hatte. Ich betrachtete es als eine besondere Gunst des Schicksals, daß ich die bemerkenswerte Karriere meines Freundes aus der Nähe hatte verfolgen können. Einige der vorliegenden Fälle, das ist wohl wahr, konnte man kaum sensationell nennen. Sie drehten sich vor allem um kleine, ja sogar häusliche Einzelheiten; manche von ihnen wiesen nicht einmal die geringste echte kriminelle Aktivität auf, und doch stellten sie das dar, was Holmes so gern als ›interessante Charakteristika‹ bezeichnete: Absonderliches oder Exzentrisches, das einen Eintrag in meine Annalen verdient hatte. Andere Fälle dagegen waren von solch sensationeller Natur, daß ich immer wieder Namen, ja manchmal sogar wesentliche Einzelheiten ändern mußte, um diese Fälle ohne jedes Risiko an die Öffentlichkeit bringen zu können. Ich habe so manchen kühnen Bericht fabriziert und Änderungen vorgenommen, die nur dem Drängen meines Arbeitgebers zuzuschreiben sind. In der Folge habe ich eine große Zahl spöttischer Bemerkungen ertragen und immer wieder Beleidigungen über mich ergehen lassen müssen, was meine Intelligenz betrifft. * Holmes, so habe ich an anderer Stelle bereits bemerkt, war eitel wie ein Mädchen, wenn es um seine Talente ging, und doch war er gebunden durch den Zwang der Geheimhaltung, die unweigerlich zum Handwerkszeug eines jeden gehört, der in einem Geschäft wie dem seinen tätig war. (Er war, das muß man wohl sagen, auch nicht mehr der einzige beratende Detektiv auf der Welt.)
    Meine Stellung in seinem Universum war für ihn von höchster Annehmlichkeit. Wenn Holmes die Sonne im Zentrum seines eigenen Kosmos war, so umkreiste ich ihn wie ein freundlicher Satellit, der sich in seinem Ruhme sonnte. Ich schrieb die Einzelheiten seiner Fälle nieder, wenn ich die Erlaubnis dazu hatte, und während es ihm freistand, meine Bemühungen zu kritisieren und höhnisch zu belächeln, was er meinen Hang zum Melodramatischen nannte, wußte ich doch, daß er sich insgeheim geschmeichelt fühlte durch die Aufmerksamkeit, die die Veröffentlichung meiner Werke ihm brachte. Als ich endlich seine Genehmigung hatte, meine Darstellung seines Triumphes in Dartmoor zu veröffentlichen, konnte die Druckerei kaum mit der Nachfrage Schritt halten. Manch einer war der Auffassung, der ›Hund‹ repräsentierte Holmes größte Stunde.
    Ich weiß jedoch, daß es auch andere Stunden gab – von denen die Öffentlichkeit nicht die leiseste Ahnung hatte –, und eines der Motive, die hinter meinem dreiwöchigen Aufenthalt steckten (obwohl er davon nichts wußte), war die Hoffnung, ihm Informationen über einige Lücken in meiner Chronologie abschmeicheln zu können.
    Das Kunststück war, fehlende Fälle aufzuspüren und Holmes dazu zu überreden, einer Veröffentlichung dieser Ereignisse zuzustimmen. Er liebte Geheimnisse, unser Sherlock Holmes, und hielt in dem gewaltigen Lagerhaus seines Gedächtnisses viele quälend unklare Hinweise und seltsame Geschichten verborgen. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen erstaunlichen Zeitabschnitt von sieben Jahren in unserer Beziehung, währenddessen er mir die Existenz seines Bruders Mycroft vollkommen vorenthalten hatte. Als es dann schließlich zur Enthüllung dieser Tatsache kam, geschah das auf die lässigste Art und Weise, die man sich nur denken kann. Ich weiß noch gut, wie ungeheuer verblüfft ich war zu erfahren, daß sein Bruder im Diogenes Club in Pall Mall lebte, nur zwanzig Minuten von unseren Räumlichkeiten in derselben Stadt entfernt.
    »Ah, aber nicht in derselben Welt«, hatte Holmes mit einem leisen Lachen bemerkt, als ich ihn darauf hinwies.
    Ich hätte nie die ganze Geschichte des Phantoms der Oper erfahren, hätte ich nicht eines Nachmittags versucht, ihm zu entlocken, was genau während
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