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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper
Autoren: Nicholas Meyer
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bin.«
    Im Laufe der Zeit wurden meine Wochenendbesuche immer seltener. Obwohl die Entfernung zwischen uns vergleichsweise gering war, nahmen doch mein berufliches wie auch mein häusliches Leben einen hinreichenden Teil meiner Zeit in Anspruch. *
    Ich wußte, daß Holmes manchmal in die Stadt fuhr, bin ihm bei diesen Gelegenheiten jedoch nie begegnet. Der große Detektiv ließ sich aus seinem Schlupfwinkel locken, wenn die Polizei unserer schwindelerregenden Metropole seiner Dienste bedurfte. Holmes widersetzte sich nie allzu energisch, wenn solche gelegentlichen Appelle an ihn ergingen. Es gefiel ihm, auch weiterhin die Hand im Spiel zu haben, wie er es ausdrückte, als wolle er sich beweisen, daß seine Fähigkeiten ihn keineswegs verlassen hatten.
    Es gab drei Londonreisen, von denen ich weiß. Eine betraf die Angelegenheit des entwendeten Tigers; eine zweite stand im Zusammenhang mit der Affäre des gescheckten Hahns; die genaueren Umstände der dritten und letzten Reise zu enthüllen, steht mir nicht frei. Es mag sein, daß ich eines Tages die genauen Einzelheiten dieser Fälle, von denen zumindest einer die gekrönten Häupter einer alten, europäischen Dynastie erschüttern würde, niederschreiben werde. * Es war im Juni 1912, als ich mich endlich wieder einmal dazu bewegen ließ, drei Wochen mit meinem alten Freund zu verbringen, um in Trägheit und Bienen zu schwelgen.
    Im Fall der toten Königin, über deren Hinscheiden wir gerade nachdachten, kam Holmes schließlich zu dem Schluß, daß ein später Frost sie dahingerafft hatte. Eine ganze Anzahl von Drohnen war gleichzeitig diesem Schicksal erlegen, und Holmes folgerte daraus, daß ein außergewöhnliches nächtliches Absinken der Temperatur die Verantwortung für die Todesfälle trug. Er hatte sich mittlerweile eine solche Sachkenntnis erworben, daß ich nicht die geringste Absicht hatte, an seinen Worten zu zweifeln.
    »Und es ging ganz bestimmt nicht um Bienen, Sir«, informierte Mrs. Hudson mich eines Morgens in der Küche mit leiser Stimme.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich meine, daß der Außenminister uns einen Besuch abgestattet hat, bevor Sie hierher kamen«, erklärte sie mir mit einem vertraulichen Unterton. »Und da ging es ganz bestimmt nicht um irgendwelche Bienen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber der Herr hat ihn fortgejagt. Sir Edward war bestimmt kein glücklicher Mann, als er zum Bahnhof aufbrach.« *
    Das war eine Angelegenheit, von der ich wußte, daß ich besser die Finger davon lassen sollte. Die Tage vergingen höchst angenehm, und ich war überrascht, wie leicht es mir fiel, sie zu füllen. Holmes hielt sich auch weiterhin alle Tageszeitungen und hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, sie von vorn bis hinten durchzulesen, statt wie früher nur die Vermißtenmeldungen zu überfliegen und den Text nach Neuigkeiten über besonders sensationelle oder schauerliche Verbrechen abzusuchen.
    »Wie ich sehe, hat die Jagd auf Dr. Freud noch immer nicht nachgelassen«, bemerkte er eines Morgens bei der Lektüre eines Artikels auf der dritten Seite. Es ist nicht allgemein bekannt, daß Holmes mit dem umstrittenen Wiener Doktor auf vertrautem Fuße stand, aber es ist mir untersagt, die Umstände ihrer Bekanntschaft genauer zu beschreiben. *
    »Sie finden immer wieder etwas Neues, was sie an seinen Theorien auszusetzen haben«, stimmte ich ihm zu, da ich den Artikel, der Freuds jüngste Lesungen in Amerika betraf * , ebenfalls gelesen hatte.
    »Und wegen seiner Theorien machen die Leute sich daran, den Mann falsch zu interpretieren und ihn am Ende gänzlich zu verdammen.« Holmes schüttelte traurig den Kopf und griff nach seiner neuen Kirschbaumholzpfeife. »Sie verstehen überhaupt nicht, worum es geht.«
    »Und worum geht es?«
    »Es ist ganz einfach. Dr. Freud ist ein wichtiger, ja sogar ein bemerkenswerter Mensch, unabhängig von allen Theorien, die er vielleicht vorgelegt hat. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob seine Theorien zutreffen, ob seine Mutmaßungen über Frauen, Kinder oder sogar Träume korrekt sind. Es spielt keine Rolle, ob er ein Mann von aufrechtem Charakter oder ein Schurke ist. Nichts von all diesen Dingen hat etwas mit seinem Anspruch auf Unsterblichkeit zu tun.«
    »Und Sie glauben, daß er einen solchen Anspruch hat?«
    »Ganz zweifellos.«
    »Und worauf gründet sich dieser Anspruch?«
    »Kartographie.« Ich weiß, daß mir der Kiefer nach unten geklappt sein muß, so groß war mein Erstaunen über diese
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