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172,3 (German Edition)

172,3 (German Edition)

Titel: 172,3 (German Edition)
Autoren: Vincent Voss
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Prolog
Wut, Hass und Verzweiflung schlugen ihr in den Blicken der Nachbarn und Verwandten entgegen. Aber auch Angst. Worte, Schreie, Schläge und Tritte folgten ihr auf dem Weg zum Hügel.
Die Ältesten schritten mit Fackeln voran und überließen sie dem Zorn der Gemeinschaft. Sie trug schwer an ihrem Schicksal. So schwer, wie der Ledersack auf ihrem Rücken wog, den sie zu tragen hatte. Es bewegte sich darin. Ihr fleischgewordener Wunsch, der sich niemals hätte erfüllen dürfen. Ihr Wunsch, der durch Kräfte leibhaftig wurde, die sie fürchtete und nicht verstand. Sie bereute und ließ es alle wissen.
»Bitte!«, war das eine Wort, das aus ihr herausbrach.
»Bitte!«, war das Flehen in ihrem Blick.
»Bitte!«, war der Schritt zu, auf die enttäuschten Liebsten; trotz der Schmerzen durch Schläge und Tritte, die sie erlitt.
»Bitte!«
Es sollte aufhören.
Jemand schlug mit einem Ast nach ihr, verfehlte sie und traf den geschulterten Sack. ES kreischte und das Schimpfen und Schreien des Dorfes erstarb. Bewegungen froren ein, Angst kroch in die Gesichter der Schweigenden.
»Bitte!«, flehte sie und hielt den zuckenden Sack fester in ihren Händen.
»Weiter!«, befahl der Dorfälteste. Sein Gesicht erschien kurz im Fackelschein, ehe es wieder in der Dunkelheit verschwand.
Sein Wort brach den Bann und sie setzten sich in Bewegung, trieben sie den Hügel hinauf, dort wo ihre Ahnen und Urahnen lebten.
In einem Kreis hatten sie Fackeln aufgestellt. Zwischen den Steingräbern von Einar und Farold war eine tiefe Grube ausgehoben worden.
Ein Stoß und sie stolperte an den Rand des Loches. Ihre Leute wichen einen Schritt zurück.
Diethelm, der mit den Geistern reden konnte, trat vor, zog ein Messer, schnitt sich in seine linke Handfläche und ließ das Blut anschließend von seiner geballten Faust zu Boden tropfen. Er reckte sie in die Höhe und zeigte sie herum. Männer und Frauen sangen kehlig, dumpf und heiser.
»Mütter und Väter! Ihr wacht über uns, ihr gebt uns Rat. Wir geben euch etwas in eure Mitte und erbeten euren Schutz davor, denn es ist böse.«
Der Gesang verstummte und außer dem Flackern der Fackeln und dem knirschenden Leder des Sackes auf ihrem Rücken war es ruhig. Ein Zeichen, dass die Geister und Götter den Worten der Menschen lauschten.
»Lebt ihr mit ihm, denn eure Kraft ist größer als die unsere. Lebt ihr mit ihm, denn dort wo es herkommt, ist euer Reich näher als unseres. Nehmt mein Opfer!« Er öffnete seine verletzte Hand und zeigte sie dem Himmel über sich und dem Boden unter sich. »Und nehmt ES !«
Mit einem Satz war er bei ihr, holte aus und stach in den Beutel.
ES wehrte sich.
ES schrie.
Die Menschen wichen weiter zurück. Einige hielten sich die Ohren zu, andere begannen zu weinen.
»Nehmt ES !«
Er zog das Messer heraus und stieß es wieder hinein. Raus. Rein. Und schrie in den Himmel: »Nehmt ES !«
Aber ES schlug und trat unablässig, kreischte.
Diethelm fuhr herum, wischte sich die Haare aus dem Gesicht und bedeutete den älteren Kriegern mit einem Nicken, ihm beizustehen. Mit gezogenen Waffen traten drei hervor.
»Haltet es fest«, befahl er.
»Bitte lasst es aufhören«, flehte sie und ging in die Knie.
Sie umringten die Frau und hielten den Sack mit Abscheu in ihren Mienen fest. Mit der linken Hand drückte Diethelm prüfend den Sack und stach ES . Mehrmals. Aber ES gab nicht auf.
»In die Grube!«, keuchte er und zu zweit packten sie den Sack und schleuderten ihn hinunter. Er fiel auf den Boden. Die Männer hielten den Atem an und ließen ihn nicht aus den Augen.
Ein Zucken.
Ein weiteres Zucken.
Diethelm schüttelte den Kopf.
»Hört zu! Sammelt Steine, Stöcke und Äste. Bringt alles hierher.«
Sie sahen ihn an, nickten und verschwanden im Wald. Diethelm blieb bei ihr stehen, legte seine unverletzte Hand auf ihren Kopf und streichelte sie.
»Warum?«, fragte er.
Ihre Blicke trafen sich.
Sie sah zu Boden und schluchzte.
Nach und nach kamen die anderen wieder und stellten sich schweigend in den Kreis.
»Sie wollen ES noch nicht und es ist an uns, ihnen unsere Kraft zu zeigen.«
Er nahm Frietjoff einen Stein aus der Hand und ging an den Grubenrand.
»Seht her!«, rief er und holte aus.
Sie folgten ihm, sahen in die Grube hinein. Einige wendeten sich ab, als sie die Bewegungen bemerkten.
»Seht her!« Er warf den Stein auf den Sack.
ES kreischte.
»Das ist unsere Stärke!«
Er nickte ihnen zu, griff sich einen Ast und warf ihn auf das Bündel. Ein weiterer Stein fiel in die Grube
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