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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper
Autoren: Nicholas Meyer
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nur, wer sie getötet hat.«
    Ich unterdrückte meinen Ärger über seinen herablassenden Tonfall, der mir zwar häufig begegnet war, an den ich mich jedoch noch immer nicht hatte gewöhnen können. Dann schloß ich mich dem Studium der Leiche an.
    Sie lag vollkommen reglos da und widersetzte sich all unseren Versuchen, das Geheimnis ihres plötzlichen Dahinscheidens zu erahnen.
    »Wen haben Sie in Verdacht?«
    »Voreilige Theorien sind immer ein Fehler«, erinnerte er mich. »Sie beeinflussen unweigerlich das Urteilsvermögen.«
    »Schlagen Sie eine Autopsie vor?«
    »Das wäre schwierig«, stellte er mit einem dünnen Lächeln fest, »wenn auch nicht notwendigerweise unmöglich.«
    »Ich kann keine Spuren von Gewalt an der Leiche erkennen«, fuhr ich hilfsbereit fort.
    »Nicht die geringsten«, pflichtete mir der Detektiv bei, »und doch würde ich schwören, daß dies kein natürlicher Tod war. Gestern noch war sie froh und munter damit beschäftigt, ihre Eier zu legen, und jetzt liegt sie totenstill da, und ihre Krone wartet nur darauf, die Brauen einer anderen zu zieren, bevor ihr Königreich vom Chaos verschlungen wird.«
    Man schrieb das Jahr 1912, und wir befanden uns auf der Burley Manor Farm * auf den nördlichen Hängen der Sussex Downs, keine fünf Meilen von Eastbourne entfernt, wo Holmes nun in bescheidener Zurückgezogenheit zusammen mit Mrs. Hudson lebte, eben jener Mrs. Hudson, die schon über unsere Räumlichkeiten in der Baker Street geherrscht hatte. Gelegentlich verbrachte ich ein Wochenende in ihrer Gesellschaft, denn der spektakuläre Ausblick auf den Kanal war weniger als eine Zugstunde von meiner Türschwelle entfernt.
    Holmes’ Rückzug war für mich ebenso rätselhaft wie vieles andere an ihm; man könnte sagen, er war typisch für sein unberechenbares, merkurisches Temperament. Es war beinahe so, als sei er eines Morgens aufgestanden und habe beschlossen, Londons überdrüssig zu sein, denn schon im nächsten Atemzug setzte er mich davon in Kenntnis, daß er in die South Downs ziehen und dort Bienen züchten wolle. Dies war ein Interesse, das er anscheinend durch Forschungen entwickelt hatte, in die ich nicht eingeweiht war.
    »Wenn ein Mann Londons überdrüssig ist, ist er des Lebens überdrüssig«, rief er sich Johnsons Maxime ins Gedächtnis, aber sein logischer Verstand erkannte schnell, daß dies kein stichhaltiges Argument war.
    »Ich bin nicht des Lebens im allgemeinen überdrüssig, ich bin es müde, ein Leben voller Verbrechen zu führen – und des Rußes«, fügte er hinzu und betrachtete mit verdrießlicher Miene die Hausdächer draußen vorm Fenster. »Ich werde mich zurückziehen und mir Bienen halten.«
    Ich tat mein Bestes, um ihn von dieser ungeheuerlichen Idee abzubringen, und seine ersten Experimente schienen auch tatsächlich meine schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen. In der Zeit, in der ich bei ihm war, um ihm dabei zu helfen, sich häuslich einzurichten, wurde er übel gestochen, und das mehr als einmal. Es war ein glücklicher Umstand, daß ein Arzt, namentlich ich selbst, bei der Hand war, und ein noch glücklicherer Umstand lag darin, daß Holmes nicht wie manch andere Leute allergisch gegen das Gift von Bienen war.
    Dennoch blieb er unbeirrbar und beriet sich regelmäßig mit einer zoologischen Autorität, Mr. Sherman, der sich seinerzeit in Lambeth verdingt, nun aber seinen Ruhestand in East Acton angetreten hatte. Was Sherman nicht selbst über die Bienenhaltung wußte, versuchte er für Holmes in Erfahrung zu bringen. Mehr als einmal machte er die Reise zu der ländlichen Unterkunft des Detektivs und half meinem Freund dabei, seiner Leidenschaft zu frönen. In Netze gehüllt, verbrachten sie viele Stunden draußen und berieten sich über Holmes’ Arrangements. Ihre Betätigung im Garten hatte zur Folge, daß dort eine ganze Reihe lieblos zusammengezimmerter Hütten entstand, die meiner Meinung nach wenig dazu beitrugen, das Aussehen des Besitzes zu verbessern.
    Als Holmes’ Hausarzt verspürte ich größten Widerwillen, ihn bei einer so augenscheinlich gefährlichen Aktivität zu sehen; diesem Widerwillen vergleichbar war nur noch meine persönliche Verwirrung, was den Reiz dieser Betätigung anbetraf.
    »Ich kann einfach nicht entdecken, was Sie so an dieser summenden Pest fasziniert«, tadelte ich ihn, als ich ihn eines Morgens wegen einer Reihe von Stichen behandelte, die er sich bei einem meiner früheren Besuche zugezogen hatte. Er lachte,
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