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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper
Autoren: Nicholas Meyer
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gegenübersah, ganz und gar darauf zu verzichten.
    Ich reiste, wie Sie wissen, unter dem Namen Sigerson und stieg als solcher in den Zug nach Milan. Ich hatte kein besonderes Ziel vor Augen, außer dem, fortzukommen, an irgendeinen Ort, den ich noch nicht kannte, einen Ort, der mich mit seinen fremden Städten und neuen Klängen stimulieren würde. Ich glaubte, daß diese unverantwortliche Sehnsucht mit der Zeit schon vergehen würde und ich mich wieder der Arbeit widmen konnte, für die ich geschaffen war, aber wenn ich überhaupt irgend etwas von einem gewissen Doktor gelernt hatte, dann war es das, daß ich mich nicht ganz und gar einer Lebensweise unterwerfen durfte, die mein geistiges Gleichgewicht bedrohte.
    Milan, das muß ich gestehen, gefiel mir nicht. Ich fand mich in einer dunstigen, unattraktiven Industriestadt wieder, und nach der Besichtigung des Domes beschloß ich, nicht mehr lange dort zu verweilen.
    Da ich nunmehr Zeit gehabt hatte, das Ganze zu bedenken, kam es mir in den Sinn, daß die Stadt, die ich wirklich gern besuchen würde, Paris war, eine Stadt, die ich kaum kannte, was nicht einer gewissen Ironie entbehrte, da ich französischer Abstammung bin. * Ich war als junger Mann zwar dort gewesen, aber immer nur kurz und immer auf der Durchreise zu irgendeinem anderen Ziel. Im Laufe der Jahre hatte ich es, wie Sie wohl wissen, vorgezogen, in London zu bleiben, da es mir nicht verborgen bleiben konnte, welch ungesunde Aufregung sich in den kriminellen Gesellschaftskreisen zusammenbraute, wenn sie erfuhren, daß ich nicht in der Stadt war. In der Euphorie meines neugefundenen zweiten Lebens zählten diese Überlegungen jedoch kein Jota. Sie verblaßten neben der plötzlichen Erkenntnis, daß ich, wenn mir der Sinn danach stand, nach Paris gehen und die Stadt erkunden konnte, die man die Metropole des 19. Jahrhunderts nannte.
    Es war nicht weiter schwierig, mir einen Platz in einem anderen Zug zu verschaffen, und zweiundfünfzig Stunden nachdem mir diese Laune in den Sinn gekommen war, fand Mr. Henrik Sigerson aus Oslo sich in den Straßen der schönsten Hauptstadt dieser Welt wieder.
    Nun ist es so, daß ich eines jener neugierigen Geschöpfe bin, die sich in einer neuen Umgebung erst dann wohl fühlen können, wenn sie zuvor soviel wie nur möglich darüber herausgefunden haben. Kurz gesagt, ich muß wissen, wie die Dinge geworden sind, bevor ich mein Gehirn dazu bringen kann zu begreifen, wie die Dinge sind.
    Daher erstand ich, bevor ich den Gare d’Orsay verließ, einen Baedeker und ähnliche Dinge und setzte mich auf eine Bank am Fluß mit Ausblick auf den Jardin de Tuilleries, aß ein Sandwich und informierte mich über die Stadt, in der ich mich nun befand.
    Paris, so schien es, hatte seinen Namen von einem altertümlichen gälischen Volksstamm, den Parisii, die sich auf diesem sumpfigen Gebiet niederließen, nachdem die Legionen Julius Cäsars sie bezwungen hatten. Die Römer nannten die Stadt Lutecia, und wie auch London, begann Paris sein zivilisiertes Dasein als römisches Lager. Es nahm seinen Anfang auf der Ile Saint-Louis und der Ile de la Cité inmitten der Seine, dehnte sich jedoch bald schon auf die Flußufer zu beiden Seiten aus und entwickelte sich im kunterbunten Auf und Ab der Zeiten zu einem labyrinthhaften Gewirr schäbiger kleiner Straßen und wenig einladender Gassen. Die Könige Frankreichs fanden die Stadt so abscheulich, daß sie es vorzogen, außerhalb davon zu leben, und ließen zu diesem Zweck Versailles erbauen.
    Das jedoch war ganz gewiß nicht das Paris, dem ich mich gegenübersah, als ich an meinem Sandwich knabberte und im Weiterlesen zu meinem größten Erstaunen erfuhr, daß sich die Verwandlung dieses mittelalterlichen Mischmaschs in die weltberühmte Stadt der Lichter erst in den letzten vierzig Jahren vollzogen hatte! Ich sehe, Sie lächeln, Watson. Zweifellos sind Sie wieder einmal von meiner Ignoranz erschüttert, aber, wie ich Ihnen schon mehr als einmal erklärt habe, ist das Gehirn ein Speicherraum mit höchst beschränkten Kapazitäten, und ich habe den Platz, der mir zur Verfügung steht, von Anfang an für Dinge reserviert gehalten, die etwas mit meiner Kunst zu tun haben. Ich erinnere mich noch gut, wie erstaunt Sie waren, als ich Ihnen erklärte, daß ich keine Ahnung hätte, ob die Erde sich um die Sonne drehte oder die Sonne um die Erde, da dies keine Bedeutung für meine Arbeit hatte. * Die Verwandlung von Paris, so erfuhr ich jetzt, war das Werk
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