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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat
Autoren: John Updike
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    Erlasse es mir, meine Konfession und die Stadt, aus der ich komme, zu nennen; ich bin ein Diener der christlichen Kirche und Amerikaner. Ich schreibe diese Seiten irgendwann zu der Zeit der Entlarvung Richard Nixons. Doch ist es auch eine Hervorbringung von mir – das Verdienst der Versuchung gebührt anderen: meine Wächter haben einen Stoß leerer Blätter vor mich hingelegt – eine Monatsration, ihrer Schätzung nach. Sie zu besudeln, soll die einzige Therapie sein, der ich mich hier zu unterziehen habe.
    Mein Bischof, gesegnet sei seine Mitra, hat verordnet (oder vielmehr als die einzige andere Möglichkeit neben dem belustigenden Ritual einer Amtsentkleidung vorgeschlagen), mich hier in die Wüste zu führen, fern von dem grünen, dichtbevölkerten Land; wo meine Gemeinde gelegen ist, wie die Franzosen so hübsch sagen. Es soll ein Monat der Erholung werden – der «Retraktion» wie ich annehme, ist doch meine «Krankheit» offiziell als Zustand der «Distraktion» diagnostiziert worden. Vielleicht aber ist das Gegenteil von «Dis-» nicht «Re-», sondern «Kon-», wodurch ich zum geistigen Bruder jener knochenbrüchigen Athleten werde, die wegen der Gefahr der Kontraktion einen untätigen Monat zwischen weißen Dünen und mitternächtlichen Verabreichungen im «Streckverband» verbringen müssen. Ich zweifle (tatsächlich heiße ich mit Vornamen Thomas), ob es wirken wird. Nach meiner Diagnose leide ich an nichts weniger Virulentem als am Zustand des Menschen, und deshalb möchte ich darüber predigen. Doch ist es auch eine gravierende Krankheit, sollte ich in aufrichtiger Bescheidenheit hinzufügen, daß sie in meinem Fall kaum fiebrig verläuft und pustulös nur, sofern wir das Bettlaken genau in Augenschein nehmen. Masturbation! Du rettender Triller über dem mißglückten Akkord unserer selbst! Lobgesänge auf Sankt Onan – später.
    Ich fühle, wie ich mich dafür erwärme, was nicht meine Absicht ist. Möge sich meine Distraktion als widerspenstig erweisen. Kein alter Taschenspieler wird sich zwischen den geneigten Spiegeln wohlgemeinter Ratschläge plaudernd von diesem glänzenden, doppelbödigen Zylinder, seiner letzten Zuflucht, fortziehen lassen.
    Einzelheiten! { * } Das Motel – ich weigere mich, es Sanatorium oder Zwischenstation oder Haftanstalt zu nennen – hat die Form eines O oder, genauer, eines Omega. Das Rund der das Bassin umgebenden Zimmer stößt vorn auf zwei geradlinige Flure, in denen sich links der Empfang, Büros, Toiletten – durch plumpe Silhouetten beiderlei Geschlechts bezeichnet – und ein winziger Verkaufsstand befinden, der voll von Plastikperlen-Stickereien und Postkarten mit Bildern von Dinosaurierknochen, aber bar jeglicher Magazine und Zeitschriften ist, die geeignet wären, die Patienten – pardon, die Gäste – mit entsprechenden Realien zu überreizen. Nach der anderen Seite hin, am anderen Fuß des O, liegen das Restaurant und die Bar. Die Glaswand der Bar ist mit einem chemischen Purpur getönt, das eine Wüstenansicht mit spärlicher werdendem Beifußgestrüpp und fernen, blassen, fossilienträchtigen Bergen filtert. Die Glaswand des Restaurants ist, zumindest beim Frühstück, mit schweren vanillefarbenen Gardinen verhängt, durch deren Lücken mit fast hörbar zersplitternder Helligkeit Lichtdolche auf die Grapefruits und das Glas der gedeckten Tische fallen. Das Haus wirkt, wenn nicht verlassen, so doch höchstens halb belegt. Allesamt Männer mittleren Alters, sitzen wir an unseren Tischen, reinigen hüstelnd unsere trockenen Keelen { * } und unterdrücken nervöses Geschwätz zwischen den Silbersachen. Ich habe den Eindruck, wir sind ein Häuflein Leidensgenossen, alle mehr oder weniger kürzlich hier angekommen. Wir sind blaß. Wir sind apathisch. Wir sind benommen. Das Personal, das spähend umherschleicht, als plante es einen Überfall aus dem Hinterhalt, besteht teils aus näselnden ledergesichtigen Weißen, deren blaue Augen künstlich gebleicht wirken, abgestimmt auf den Alkalihimmel und die Sitzflächen ihrer Jeans, und im übrigen aus mannbaren Eingeborenenmädchen, deren lautloser Gang und straffes schwarzes Haar nicht recht zu den gekräuselten pistaziengrünen Uniformen passen, die sie als Kellnerinnen tragen müssen. Ich hatte, als ich heute morgen von ihnen bedient wurde, das Gefühl, daß sie mich ehrerbietig behandelten oder angstvoll, als wollten sie es vermeiden, sich bei mir anzustecken. Ein trächtiges Thema: Heiligkeit und
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