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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat
Autoren: John Updike
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curate, curare.»
    «Das ist krankhaft, Tom. Was machen wir bloß mit dir?»
    Und eine abgrundtiefe Sekunde lang dachte ich, ihre Hand, mit der sie prüfend über meine kalte Haut strich, tastete nach meinem Penis. Aber die Gefahr ging, wie so viele andere auch, vorüber.

3
    Meines Vaters Haus Haus Haus Hau
    Finger hängen schlaff über den Tasten, der billige Öldruck über diesem Schreibtisch (ein Bild im Stile Remingtons, auf dem ein Pferd, ein Busch und eine Schilfhütte dargestellt sind, alles in das übertrieben kirschrot getönte Licht eines Prärie-Sonnenuntergangs getaucht) läßt nach und nach faszinierende Details erkennen (ist das ein aus dem Fenster herausragender Ellbogen und das da links eine Spalte oder ein Fluß?), und einige Vorfälle, die sich beim gestrigen Golfwettspiel ereigneten, kommen mir wieder quälend ins Gedächtnis. Nachdem ich in der dünnen Luft, auf dem von Kakteen bestandenen Gelände, mit einem schönen klickenden Drive den Ball vom Abschlag zum Grün befördert hatte, verfehlte ich dreimal hintereinander Putts auf knapp einen Meter Entfernung, was entweder auf beginnende Kurzsichtigkeit oder auf einen gravierenden Charakterfehler schließen läßt. Das Gefühl, wie der Ball, den man so vorsichtig angestoßen hat, am oberen Rand entlangkullert und dann hängenbleibt, so hartnäckig wie das Faktum des Leids in der Welt – das zerrt an den Eingeweiden. Zweifel krümmen uns, so daß fast Tränen aus den Gängen unseres Körpers gepreßt werden. Wilde Flut überflutet uns. Verderben! Verderben dem Universum, dessen aus der Mitte gerutschte Mitte dieses Loch ist! Alle Menschen hassen Gott, sagt Melville.
    Meines Vaters Haus waren mehrere Häuser, da er von einer Gemeinde zur anderen zog. Aber die Möbel blieben immer dieselben, und die gebogenen Füße, nicht Löwentatzen, sondern Pfoten ohne Klauen, ohne Zehen, einer mit Mahagoni furnierten hohen Kommode tauchen groß vor mir auf als etwas, das meine Phantasie erregt haben muß, als ich noch auf allen vieren kroch. Das Gewebe des Orientteppichs, mit den eckigen blauen Blumen am Rand, in den sich diese unmöglichen runden Füße bohrten, war ungewöhnlich flauschig an den Rändern und bedenklich fadenscheinig, wo er von den Füßen der Familie und der Besucher meines Vaters betreten wurde.
    Sie murmelten hinter der Tür seines Studierzimmers, diese Besucher. Samstags pflegte er zu tippen – klappernde Ergüsse nach einem langen Vorspiel stummen Ringens. Diese Geräusche geistlicher Tätigkeit gruben sich tief in die sonst tödliche Stille ein. Mein Vater und meine Mutter sprachen wenig. Sie hatten nur wenige Freunde, für die er nicht der Abgesandte einer besseren Welt war. Ich war das jüngste von vier Kindern, aber mein nächstälterer Bruder, Stephen, war Lichtjahre älter als ich und ging schon zur Schule, als ich erst herumtapsen konnte. Ich war sozusagen ein Nachtrag, ein Versehen. Allein schon meine Existenz war eine Art Scherz. Ich entschuldigte mich dafür, so sehr ich konnte, indem ich brav war. Obwohl die Bibliothek voller Bücher stand, die den Himmel mit unserem irdisch-alltäglichen Staub vermischten, vermochte keines das Rätsel meiner Existenz zu erklären. Es lag in meiner Mutter beschlossen. Meine Mutter war einmal hübsch gewesen; hübsch und zunehmend sepiabraun mit den Jahren, blickte ihr Bild vom Kaminsims im Wohnzimmer – von der Folge von Wohnzimmerkaminsimsen. Es gehörte zu den Schätzen, auf die ich Anspruch erhoben hatte, als sie vor sieben Jahren an Lungenkrebs starb, und ich war bestürzt, wie klein es war, dieses Bild, und wie konventionell mit jenem vergeistigt-verträumten, leicht verschwommenen Ausdruck schöner Frauen vor dem Ersten Weltkrieg. Die Mode ist am Ende stärker als die Persönlichkeit: alle Mätressen Ludwigs XV. sehen gleich aus. Meine Mutter hatte einst eine schöne Stimme gehabt, aber zu der Zeit, als ich groß genug war, um mit ihr in die Kirche zu gehen, war ihre Stimme durch die Jahre und durch ihre chronische Bronchitis heiser geworden, und wie aus Protest pflegte sie beim Singen schweigend neben mir zu stehen und im Gesangbuch den Wortlaut der Choräle mitzulesen, wobei jedoch ihr Mund sanft geschlossen blieb und ihr Schweigen laut in meinem Herzen tönte. Auch im Schlafzimmer meiner Eltern herrschte Schweigen, wenn das Murmeln meines vom Tage berichtenden Vaters erstarb und mit ihm die leichtere, vor allem aus Pausen bestehende Musik der Antworten meiner Mutter, ihr
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