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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat
Autoren: John Updike
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Berührung. Gott als das höchste Leiden. Noli me tangere. Keime und der Altar. Der geteilte Kelch gegen den Wegwerf-Pappbecher: wie viele Stunden meines Berufslebens sind über dieser liturgischen Debatte zu bitteren Krumen zerkaut worden (der apokalyptische Antiseptiker unter den Diakonen gegen die ganzheitlicher als du eingestellten Verteidiger des großen Grals). Schon gut! Ich bin frei davon, einen Monat lang oder für immer. Gottlos und Dank! { ** } Was kann ich dir erzählen? Ich kam um Mitternacht an, verwirrt. Der Flugplatz verteufelt sauber. Ein frisch wehender, trockener Wind. Der kleine grüne, mit Pseudo-Cowboys bemannte Bus fuhr uns in eine riesig aufragende Stunde alles verschlingender Wüstenfinsternis. In Empfang genommen an der Glastür von einer großen, undeformierten Dame, die aber unattraktiv und zweifellos gerade deswegen für diese heikle Aufgabe ausgewählt worden ist. Schien die Leiterin zu sein. Sie hieß, wenn meine vom Dröhnen des Jets noch halb tauben Ohren mich nicht täuschten, Ms. Prynne. Ein Gesicht wie eine große weiße, aus unerfindlichen Gründen sich selbst beglückwünschende Schildkröte. Den weißen Hals gereckt, wie um vornehm zu tun oder um eine wunde Stelle zu schonen. Fauchte uns die Hausordnung zu. Uns: einem muskulösen irischen Priester und einem Geistlichen des dritten Weihegrades, einem scheu nuschelnden, leicht buckligen Mann aus Tennessee mit dem hoffnungsvoll schnellen Lächeln des Abtrünnigen, vermutlich ein ungetreuer Erweckungsprediger, der sich gleichzeitig als betrügerischer Versicherungsvertreter betätigte. Die Hausordnung (wie sie unserer Gastgeberin von den verantwortlichen Bistümern und Kirchenkonferenzausschüssen aufgegeben worden ist): Mahlzeiten um acht, zwölf Uhr dreißig und neunzehn Uhr. Bar von mittags an geöffnet. Verkaufsstand zwischen zwei und fünf Uhr nachmittags geschlossen. Vormittags: schreiben, ad libitum. Nachmittags: Sport, vorzugsweise Golf, doch besteht auch die Möglichkeit, zu reiten, zu schwimmen und Tennis zu spielen. Abends: Karten– oder Brettspiele, vorzugsweise Poker. Viele Verbote. Keine ernsthaften dogmatischen oder persönlichen Gespräche. Keine Lektüre außer eskapistischer Literatur: eine Anzahl englischer Detektivromane und humoristischer Bücher aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sind in der Leihbibliothek am Verkaufsstand erhältlich. Verbannt ist vor allem die Bibel. Nichts Religiöses, keine Besucher, weder Empfang noch Schreiben von Briefen. Keine Ausflüge in die Stadt (die nächste, Sandstone, ist 40 Meilen entfernt), doch sollen in der zweiten Hälfte des Monats einige Exkursionen mit dem Bus unternommen werden.
    Aber du weißt das alles. Wer bist du, freundlicher Leser?
    Wer bin ich?
    Ich gehe zum Spiegel. Das Zimmer verstört mich noch mit seinen vielen fremden Ecken, wenn auch eine durchschlafene Nacht hier einige Falten glattgebügelt hat. Ich weiß, wo das Badezimmer ist. Oh, diese makellose, unsichtbar erneuerte sanitas gemieteter Badezimmer, die uns auffordert, uns nicht nur unserer Kleider und Exkremente und der überwürzten Steakfasern zwischen unseren Zähnen zu entledigen, sondern auch unserer Haut mit allem Schmutz und unserer Umstände mit der Haut und dann alles hinunterzuspülen in der Toilette, deren laute Gefräßigkeit beim Spülen so vorwurfsvoll absticht von der verstopften Trägheit der daheim zurückgelassenen Toiletten, die so voll von uns sind, daß sie kaum noch ebben können! Der Spiegel hält mir ein Gesicht entgegen. Ich erkenne es nicht als meines. Es faßt so wenig mein inneres Licht, wie der Schirm einer Brückenlampe ihre Glühbirne faßt.
    Dieser Lampenschirm. Dieser schief hängende Lampenschirm. Dieser zur Seite gestoßene Lampenschirm. Dieser fahle Sack, dem die Zeit die Tönung rezyklisch aufbereiteten Papiers eingegerbt hat, untilgbar gefleckt und vergilbt, Papier, das dennoch die Schlaffheit schmelzenden Gummis hat und Erosionen zeigt wie eine Luftaufnahme, auf der jede der Myriaden von Falten einem Canyon entspricht, tief genug, um die Leichen der letzten vier Jahrzehnte zu fassen. Nicht meine. Aber es blinzelt, wenn ich will – blinzle; es nimmt, wie ich im Spiegel sehe, eben den Raum ein, in dem sich, gäbe es einen ätherischen Zeichner, die Perspektiven, in denen ich verschiedene vorspringende Ecken des Zimmers wahrnehme, schneiden würden. Das hier sind meine Zähne! Von jeder Füllung und Einlage könnte ich ein trauriges Lied singen. Und die
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