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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb
Autoren: Jonathan Kellerman
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Alex. Danke, dass du das gesagt hast.«
    Langsam, sanft entzog ich mich ihr, während ich sie weiter streichelte. Und sagte: »Komm. Heraus damit.« Das Stichwort des Therapeuten …
    »Da wurde ihr Lachen verrückt - unheimlich, hysterisch. Ganz plötzlich hörte sie völlig auf zu lachen, sah mich an, dann sich selbst, all das Blut, und fing an, sich die Kleider vom Leib zu reißen. Mit einem Mal begriff sie, was sie getan hatte: Indem sie Paul vernichtete, vernichtete sie sich selbst. Er war alles für sie, der vertraute Nächste, beinahe so etwas wie ein Vater. Sie brauchte ihn, hing von ihm ab, und jetzt war er nicht mehr da, und es war ihre Schuld. Sie brach zusammen, vor meinen Augen. Sie zerfiel. Schluchzte - jetzt war’s keine Schauspielerei mehr, es waren richtige Tränen -, sie heulte wie ein hilfloses Baby. Bettelte mich an, ich solle ihn ihr zurückbringen, ich wäre doch so klug, ich hätte doch einen Doktor, ich könnte das bestimmt.
    Ich hätte sie beschwichtigen können. Wie ich es schon so oft zuvor getan hatte. Stattdessen sagte ich ihr, Paul käme nicht wieder, es sei ihr Fehler, sie müsse dafür zahlen, niemand könne sie davor bewahren, diesmal nicht, auch nicht Onkel Billy. Sie sah mich an, wie ich sie noch nie zuvor erblickt hatte - zu Tode erschrocken. Wie eine verurteilte Frau. Fing wieder damit an, bettelte, ich solle Paul doch zurückholen.
    Ich wiederholte, dass er tot sei. Wiederholte das Wort immer wieder. Tot. Tot. Tot. Sie versuchte, zu mir zu kommen, damit ich sie tröste. Ich stieß sie weg, schlug sie hart, einmal, zweimal. Sie wich zurück vor mir, stolperte, fiel hin, griff in die Handtasche und zog ihre Daiquiriflasche heraus. Trank, sabberte und weinte, und es rann ihr am Kinn herunter. Dann kamen die Pillen heraus. Sie nahm ganze Hände voll davon, fing an, sie hinunterzuschlingen. Hielt alle paar Sekunden ein und starrte mich an - ich sollte sie an dem hindern, was sie tat, so wie ich es schon so oft zuvor getan hatte. Aber ich tat es nicht. Sie stürzte sich in mein Schlafzimmer, immer noch mit der Handtasche in der Hand - splitternackt, aber mit der Handtasche, sie sah so … jämmerlich aus.
    Ich folgte ihr. Sie nahm noch etwas anderes aus ihrer Handtasche. Eine Waffe. Eine kleine vergoldete Pistole, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Mein neues Spielzeug, sagte sie. Gefällt’s dir? Hab sie bei einem verdammten Rodeodrive gewonnen. Hab sie heute eingeweiht. Dann zielte sie auf mich, krümmte den Finger überm Abzug. Ich war sicher, dass ich sterben würde, aber ich bettelte sie nicht an, ich blieb ganz ruhig, sah ihr genau in die Augen und sagte: ›Dann tu’s, vergieße noch mehr unschuldiges Blut. Werde noch dreckiger, du wertloses Miststück!‹
    Dann kam ein ganz seltsamer Ausdruck in ihr Gesicht. Sie sagte: ›Tut mir leid, Partnerin‹, und sie setzte die Waffe an die Schläfe und drückte ab.«
    Schweigen.
    »Ich saß eine Zeitlang nur da und sah sie an. Sah sie bluten und die Seele aushauchen. Fragte mich, ob sie tot wäre. Dann rief ich Onkel Billy an. Er kümmerte sich um den Rest.«
    Die Brust tat mir weh. Ich merkte, dass ich die Luft angehalten hatte, und ließ sie raus.
    Sie lag da, allmählich entspannte sie sich, und ihre Augen nahmen einen träumerischen Ausdruck an. »Und das ist alles, mein Liebling. Ein Ende. Und ein Anfang. Für uns.«
    Sie setzte sich auf, glättete das Haar, knöpfte den obersten Knopf ihres Kleides auf und beugte sich vor. »Ich bin es los. Frei. Für dich bereit, Alex - bereit, dir alles zu geben, so wie ich’s noch nie jemandem gegenüber getan habe. Ich warte schon lange auf diesen Augenblick, Alex. Hatte nie gedacht, dass er kommen würde.« Sie streckte die Arme nach mir aus.
    Nun musste ich aufstehen und auf und ab gehen.
    »Puh!«, sagte ich. »Es ist verdammt schwer.«
    »Ich weiß das, Liebling, aber wir haben Zeit. So viel wir wollen. Ich bin endlich frei.«
    »Frei«, sagte ich. »Und reich. Ich hatte mir nie ein Leben als ausgehaltener Mann vorgestellt.«
    »Aber das wärest du doch nicht. Ich bin keine wirkliche Erbin. Mr. Beldings Testament sagt, das Geld bleibt in der Corporation.«
    »Trotzdem«, erwiderte ich. »Da Onkel Billy alles verwaltet - bei seinem guten Verhältnis zu dir dürfte dein Leben sehr luxuriös werden.«
    »Nein, das muss es nicht sein. Ich brauche das nicht. Geld ist mir nie wichtig gewesen - nicht um seiner selbst willen oder wegen der Dinge, die man dafür kaufen könnte. Das war ihre
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