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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb
Autoren: Jonathan Kellerman
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Thema für die Dissertation finden oder noch einmal beim Fachbereich eine Verlängerung erbitten, ein zweites Mal. Ich erzählte Paul alles - wie sie mich frustrierte, wie sehr sie mir das Leben schwer machte. Dass es leichter wäre, ihre Therapeutin als ihre Schwester zu sein. Er lachte darüber, sagte, ein Therapeut zu sein sei auch kein Picknick. Wir sprachen über den Verlust an Kontrolle, der sich aus dem Umgang mit solchen Leuten ergibt. Dann fragte er mich, warum ich mich nicht in die Rolle einer Therapeutin versetzte - um ein Gefühl zu entwickeln, dass ich diese Beziehung beherrschte - und alles aufzuschreiben.«
    »Es durchzuarbeiten.«
    »Paul sagte, sie schulde mir das.«
    »Klingt, als ob Paul auch wütend auf sie war.«
    »Er war frustriert - all die langen Jahre, und sie wurde immer schlimmer. Schrecklich. Gegen Ende war sie richtiggehend paranoid, nahezu psychotisch.«
    »Paranoid wieso?«
    »In jeder Beziehung. Das letzte Mal, als sie zurückkam - als sie mir die Praxis zerstörte, war sie überzeugt, ich wäre hinter ihr her, um sie zu erledigen; dass ich meinen Patienten ihre Geheimnisse erzählte und sie demütige. Es kam von ihrem eigenen Schmerz her, aber sie projizierte es auf mich - mir warf sie es vor, so wie sie’s seit Jahren schon getan hatte.«
    »Erzähl mir davon.«
    »Es ist lange her, Alex.«
    »Ich würde es trotzdem gern hören.«
    Sie dachte eine Weile darüber nach, zuckte die Achseln und lächelte. »Wenn es dir so wichtig ist.«
    Ich erwiderte ihr Lächeln.
    Sie begann: »Es passierte nach ihrer Heirat - mit einem italienischen Adligen, einem Marchese, Benito di Orano, mit dem ihre Mutter sie bekannt gemacht hatte. Zehn Jahre jünger als sie, höflich, hübsch, Erbe irgendeines Schuhkonzerns - wieder so eine impulsive Handlung -, sie kannten sich gerade eine Woche, flogen nach Liechtenstein und ließen sich trauen. Er kaufte ihr einen Lamborghini, holte sie in seine Villa mit Aussicht auf die Spanische Treppe. Paul und ich hofften, sie würde nun endlich zur Ruhe kommen. Aber Benito war, wie sich herausstellte, ein Sadist und ein Drogenfreak. Er schlug sie, nahm sie mit in seinen Familienpalast in Venedig, pumpte sie mit Rauschgift voll und lieh sie seinen Freunden aus - als Partygefälligkeit. Als sie aufwachte, sagte er, er hätte die Heirat annulliert, weil sie Dreck wäre, und dann warf er sie raus. Mit einem Tritt, buchstäblich.
    Sie kam wie ein Wurm zurück in die Staaten gekrochen, platzte bei mir mitten in eine Therapie hinein, kreischte herum und lärmte und bat mich, ihr zu helfen. Ich rief Paul an. Zusammen versuchten wir, sie zu beruhigen, zu überreden, dass sie sich selbst akzeptierte. Aber sie wollte nicht mitmachen, und sie war, soweit zu erkennen, in keiner akuten Gefahr, also gab es nichts, was wir tun konnten. Sie stampfte wütend fort und verfluchte uns beide. Ein paar Tage später war sie wieder die alte Sherry - übelste Redensarten, Tablettenschlucken, wieder unterwegs auf der Landstraße, permanent auf Achse. Von Zeit zu Zeit hörten wir von ihr - Anrufe mitten in der Nacht, Postkarten, auf denen sie freundlich zu sein versuchte. Ein-, zweimal fuhr ich sogar zum Flughafen raus, um sie zwischen zwei Flügen zu sehen. Wir plauschten, tranken, taten so, als wäre alles in Ordnung. Aber ihre Wut war nicht verraucht. Das nächste Mal, als sie wieder nach L.A. kam, um länger zu bleiben, knüpfte sie eine engere Beziehung zu mir an, dann begann sie mit ihren Weiterbehandlungen. Gott, ich hing so an meiner Arbeit, Alex. Sie fehlt mir immer noch.«
    Ich nahm sie in die Arme. »Wie kam es zur Zuspitzung?«
    »Wegen der Party. Sie war ebenso verrückt nach Partys, wie ich sie hasste. Aber Paul wollte, dass ich bei dieser zugegen war - befahl ihr, sich dort nicht sehen zu lassen. Sie stritt herum, bekam einen Wutanfall. Er sagte ihr, beide könnten wir nicht hingehen, und ich wäre diejenige, die gehen müsse. Es sei etwas für Psychologen, nur für sie. Für ihn ein besonders wichtiges Ereignis, und er wolle es sich nicht durch ihre Auftritte ruinieren lassen. Ihre Auftritte seien dort nicht angebracht. Das löste es bei ihr aus - sie griff ihn an, wollte ihn mit einer Schere erstechen. Das erste Mal, dass sie ihm gegenüber je gewalttätig geworden war. Er überwältigte sie, gab ihr eine hohe Dosis Barbiturate und schloss sie in ihr Zimmer ein. Samstagabend, gleich nach der Party, ließ er sie raus. Er sagte mir, sie hätte ruhig ausgesehen, sei richtig nett
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