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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram
Autoren: Gregory David Roberts
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unseres klapprigen Busses drangen in einer hitzigen, aber nicht unangenehmen Mischung die Gerüche von Gewürzen, Duftwassern, Dieselabgasen und Ochsenmist herein, und über die Klänge fremder Musik erhob sich Stimmengewirr. Überall sah man gigantische Werbeplakate für indische Filme, und die künstlichen Farben der Bilder zogen hinter dem sonnenbraunen Gesicht des großen Kanadiers vorbei.
    »Ja, klar, viel sicherer. Das hier ist Gotham City, Mann. So schnell, wie die Straßenkinder dir das Geld aus der Tasche ziehen, kannst du gar nicht gucken.«
    »Eben typisch Großstadt, Mann«, ergänzte der Kleinere. »Große Städte sind doch immer alle gleich – New York, Rio oder Paris –, überall ist es dreckig, und überall sind die Leute verrückt. Typisch Großstadt, verstehst du? Der Rest von Indien wird dir bestimmt gefallen. Ein tolles Land, aber die Städte sind echt am Arsch, kann ich nur sagen.«
    »Und die verfluchten Hotels gleich mit«, ergänzte der andere. »Die nehmen dich aus, nur weil du in deinem Hotelzimmer hockst und ein bisschen Gras rauchst. Die stecken mit den Bullen unter einer Decke, die dich dann verhaften und dir deine ganze Kohle wegnehmen. Am sichersten ist es, wenn man zu mehreren ist und zusammenbleibt, das kannst du mir glauben.«
    »Und wenn man so schnell wie möglich aus den Städten abhaut«, sagte der Kleinere. »Verfluchte Scheiße, hast du das gesehen?«
    Der Bus war auf dem breiten Boulevard in eine Kurve gebogen, in der große Felsblöcke wie zufällig am türkisblauen Meer verstreut lagen. Auf diesen Felsen hockte eine kleine Kolonie schwarzer halb verfallener Slumhütten wie das Wrack eines düsteren Schiffs aus uralter Zeit. Die Hütten brannten.
    »Ver fluchte Scheiße! Schau dir das an! Der Typ brutzelt, Mann!«, schrie der große Kanadier und deutete auf einen Mann, der mit brennenden Kleidern und Haaren zum Meer rannte. Er stolperte und stürzte zwischen den großen Felsblöcken zu Boden. Eine Frau und ein Kind holten ihn ein und erstickten die Flammen mit ihren Kleidern und Händen. Andere versuchten, das Feuer in ihren eigenen Hütten zu löschen oder standen einfach nur da und sahen zu, wie ihre dürftigen Behausungen in Flammen aufgingen. »Habt ihr das gesehen? Der Typ ist hinüber, das sag ich euch.«
    »Glaub ich auch!«, keuchte der andere erschrocken.
    Unser Bus hatte das Tempo verlangsamt, wie die anderen Fahrzeuge auch, beschleunigte jetzt jedoch wieder. Niemand hielt an. Ich drehte mich um und schaute durchs Rückfenster, bis die verbrannten Hütten zu kleinen Punkten wurden und der braune Qualm des Brands nur noch ein Hauch von Verderben war.
    Am Ende des langen Küstenboulevards bog der Bus linker Hand in eine breite Straße mit modernen Gebäuden ein. Ich sah exklusive, von Gärten umgebene Restaurants neben eleganten Hotels, vor denen livrierte Pagen unter bunten Markisen warteten. Die Sonne glitzerte in den Glas- und Messingfassaden von Fluggesellschaften und anderen Unternehmen. Straßenstände schützten sich mit bunten Schirmen vor der Morgensonne. Die männlichen Inder, die hier unterwegs waren, trugen feste Lederschuhe und westliche Anzüge, die Frauen teure Seidenkostüme. Sie alle wirkten effektiv und nüchtern und strebten mit ernster Miene den hohen Bürogebäuden zu.
    Überall stieß ich auf den Gegensatz zwischen dem Vertrauten und dem Außergewöhnlichen. An einer Ampel stand ein Ochsenkarren neben einem modernen Sportwagen. Hinter einer Satellitenschüssel ging ein Mann in die Hocke, um sein Geschäft zu verrichten. Mit einem elektrischen Gabelstapler wurden Waren von einem altertümlichen Karren mit Holzrädern heruntergehoben. Es kam mir vor, als sei eine schwerfällige, unermüdliche, ferne Vergangenheit durch die Grenzen der Zeit in ihre eigene Zukunft eingebrochen. Das gefiel mir.
    »Wir sind gleich da«, verkündete der große Kanadier. »Ein paar Straßen weiter ist das Zentrum. Allerdings nicht wirklich die City, eher die Touristenmeile, wo es billige Hotels gibt. Der letzte Halt. Colaba heißt das Viertel.«
    Die beiden jungen Männer zogen ihre Pässe und Reiseschecks aus ihren Taschen und verstauten sie vorne in ihrer Hose. Der Kleinere nahm sogar seine Uhr ab und ließ sie mitsamt Geld, Pass und anderen Wertsachen in seiner Unterhose verschwinden. Als er merkte, dass ich ihn beobachtete, grinste er und sagte: »Hey, man kann nicht vorsichtig genug sein, Mann.«
    Ich stand auf und schob mich zum Ausgang. Als der Bus anhielt,
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