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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja
Autoren: Zülfü Livanelli
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Playstation als einziger Lebenszweck gilt, schnell das Essen gekocht, und das Tag für Tag, wie ein spätgeborener weiblicher Sisyphos.
    Wenn man es, mit dunklen Ringen unter den Augen, bis zum Wochenende geschafft hat, will man sich mit ein paar Freundinnen ein bisschen amüsieren und zieht mit ihnen in eines der riesigen Einkaufszentren, die neuen Tempel Istanbuls. Man entspannt sich bei einer Hollywood-Komödie und trinkt dann, um in Stimmung zu bleiben, in einem Bistro ein, zwei Glas Wein. An den Tischen um einen herum sitzen größtenteils Gruppen von Frauen. Seit wann führen eigentlich Frauen und Männer ein so getrenntes Leben? Die Frauen schwärmen davon, wie gut man unabhängig und allein lebt, und reden dann doch nur über Männer.
    Immer wieder heißt es, die Frauen hätten sich aus jahrhundertealter Knechtschaft befreit und stünden nun auf eigenen Füßen, und die Ehe habe daher ausgedient. Die Frauen seien heutzutage besser ausgebildet und den Männern überlegen, was die Männer in hohem Maße beunruhige, so dass es in zweihundert Jahren wohl gar keine Männer mehr geben und die Frauen es irgendwie durch Zellteilung schaffen würden, ganz ohne Männer Kinder auf die Welt zu bringen.
    Der weißhaarige Mann vor mir hat seinen Sitz jetzt in Liegeposition, zappelt aber noch genauso herum. Mich stört das nicht weiter. Jenseits des Korridors habe ich ein Pärchen im Blickwinkel, das sich ununterbrochen küsst. Die beiden haben ihre Business-Class-Sitze flachgelegt und benehmen sich, als lägen sie im Bett. Sie haben sich eine Decke übergeworfen, unter der sie – da bin ich mir hundertprozentig sicher – aneinander herumfummeln. Ist Liebe wirklich nichts anderes als eine List, damit die Leute Kinder kriegen?Süleyman musterte mich immer wieder im Rückspiegel, und ich bemühte mich, jeden Augenkontakt zu vermeiden. Sogar dieser Holzkopf sah in mir nichts anderes als die »geschiedene Frau«, wie alle Männer. Eine geschiedene Frau war garantiert auf Männersuche. Wer weiß, was der Kerl sich alles vorstellte. Ich lehnte den Kopf an die Scheibe und sah in den Regen hinaus.
    Mühelos passierten wir die Polizeisperre vor dem Atatürk-Flughafen. Wieder tat das schwarz-offizielle Gepräge unseres Wagens seine Wirkung, denn wir durften in die für andere Autos verbotene Zone direkt vor der Ankunftshalle fahren. Dabei war der Mercedes ein klappriges Gefährt, das von irgendeinem früheren Rektor stammte. Der Mann war vielleicht schon lange tot, aber sein Wagen wurde immer wieder aufgepäppelt.
    Im Flughafen herrschte Gedränge. Kein Wunder, wo es doch im ganzen Land so zugeht, auf den Straßen, an Bushaltestellen, in Einkaufszentren, Kinos, Restaurants. Immer ist es voll, und immer ist es laut. Es ist so gut wie unmöglich, in dieser Riesenstadt einmal einen Augenblick lang für sich selbst zu sein. Auf dem Eminönü-Platz zwängt man sich durch die schwitzende Menschenmenge, aus Lautsprechern plärrt entsetzliche Musik, Straßenhändler bieten lauthals Simits, Kiwis und gefälschte Uhren an, Kinder halten einem Vögel hin, die man doch bitteschön freikaufen solle, von einem Hasen soll man sich wahrsagende Zettelchen herauspicken lassen, und man selber hat nichts anderes im Sinn, als sich an den Bosporus zu flüchten, in irgendein ruhiges Eckchen, um endlich einmal durchzuatmen.
    Mit solchen Gedanken im Kopf wartete ich. Auf der großen Anzeigentafel sah ich, dass das Flugzeug aus Frankfurt schon gelandet war. Lange konnte es also nicht mehr dauern. Ich hielt den Karton hoch, auf dem »Prof. Maximilian Wagner« stand, und musterte die Reisenden, die herauskamen: in Deutschland lebende Türken, Touristengruppen, ein kleines Mädchen an der Hand einer Stewardess …
    Und dann sah ich einen Mann auf mich zusteuern, hochgewachsen, blaue Augen, schwarzer Mantel, Filzhut. In der einen Hand trug er einen mittelgroßen Koffer, in der anderen einenGeigenkasten. An der Trennbarriere stellte er den Koffer ab, zog den Hut und hielt mir die Hand hin.
    »Guten Abend«, sagte er auf Englisch, »ich bin Maximilian Wagner.«
    Mein erster Eindruck war, dass der Mann unheimlich gut aussah. Er hatte einen wohlgeformten Kopf, weiße Haare, eine kleine Nase und Falten im Gesicht, die ihm sehr gut standen. Und es war auch das erste Mal, dass ein Mann vor mir den Hut zog.
    »Willkommen, Professor Wagner. Ich bin Maya Duran.«
    Wir gingen ans Ende der Absperrung, und ich sagte: »Unser Auto steht direkt vor der Tür.«
    Ich zwang mich
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