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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja
Autoren: Zülfü Livanelli
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man brauche etwas nur zu »wollen«. Wirklich wollen aber kann man nur das, wozu man auch wirklich fähig ist. Wollen ist etwas anderes als bloßes Wünschen und Träumen. Man muss bereit sein, für das Gewollte einen Preis zu bezahlen, und man muss tatsächlich etwas tun.
    Meine Lebensumstände gaben keinen Raum für einen Roman her. Es reichte gerade noch zum Phantasieren, denn das war amüsant.
    »Sie lächeln, also sind Sie mir nicht böse?«
    Diese Worte des Professors brachten mich wieder zu mir, und ich merkte, dass ich tatsächlich lächelte.
    »Aber ich bitte Sie, wie sollte ich Ihnen böse sein, hocam .« Kaum hatte ich das gesagt, biss ich mir verlegen auf die Lippen. Aus reiner Gewohnheit hatte ich ihn auf Türkisch mit hocam angesprochen, »mein Lehrer«, der üblichen Anrede für das gesamte Lehrpersonal der Universität, die mir Tag für Tag hundertfach über die Lippen ging.
    Nun lächelte er.
    »Genau, hocam !«, rief er aufgeregt aus, »So haben sie mich damals immer genannt. Ein halbes Jahrhundert lang habe ich das nicht mehr gehört. Danke. Jetzt weiß ich, dass ich in Istanbul bin.«
    So war, als wir am Pera Palace ankamen, das Eis zwischen uns gebrochen. Mit seinem Vordach aus Glas und Schmiedeeisen und den im Regen glänzenden Lampen wirkte das Hotel in der engen Straße wie aus einer Märchenwelt.
    Irgendwie tut es mir gut, jetzt an das Pera Palace zu denken. Das für die exklusiven Fahrgäste des Orient-Express errichtete Pera Palace , das seinerzeit mit einem großartigen Ball eröffnetwurde, ist und bleibt für mich das imposanteste Gebäude von Istanbul.
    Wir flüchteten uns vor dem Regen ins Foyer. Süleyman übergab den Hotelbediensteten das Gepäck des Professors, doch wollte sich dieser nicht von seinem Geigenkasten trennen und trug ihn lieber selbst.
    Als ich schon durch die Drehtür hindurch war und mich zum draußen zurückgebliebenen Süleyman umdrehte, sah ich tatsächlich, wie gerade der weiße Renault parkte. Das konnte kein Zufall mehr sein. Hatte die Regierung den Professor etwa unter Personenschutz gestellt? War der Mann so wichtig?
    Seit wir das Hotel betreten hatten, sah Professor Wagner aus seinen blauen Augen noch melancholischer drein. Auch wirkte er bleich, doch konnte das am besonderen Licht des riesigen Kronleuchters liegen.
    »Setzen Sie sich erst mal hin, ich erledige inzwischen das mit der Anmeldung«, sagte ich und führte den Professor zu einem der altehrwürdigen Lehnstühle im Foyer.
    »Ich bräuchte nur Ihren Reisepass. Möchten Sie vielleicht etwas trinken, einen Kaffee oder etwas Alkoholisches?«
    »Könnten wir vielleicht, wenn Sie fertig sind, gemeinsam einen Whisky trinken?«
    »Selbstverständlich«, erwiderte ich, einigermaßen überrascht. Kerem würde sein Essen nun erst später bekommen.
    »Na, schon wieder Besuch?«, rief mir der Empfangschef Mustafa entgegen.
    »Tja, bringt der Beruf so mit sich. Es ist diesmal ein alter Herr, und er ist ziemlich müde. Wenn Sie ein ruhiges Zimmer für ihn hätten …«
    »Wird erledigt.«
    »Vielen Dank.«
    Auf dem Weg zurück bestellte ich bei einem Kellner einen doppelten Whisky und einen weißen Portwein. Dann erst sah ich, dass Professor Wagner in dem Lehnstuhl eingeschlafen war. Er atmete in tiefen, regelmäßigen Zügen.
    Eigentlich kam mir das gerade recht. Ich wollte die Gelegenheit nutzen und so schnell wie möglich nach Hause. So machte ich die Bestellung rückgängig und bat die Kellner, den Mann in Ruhe zu lassen.
    »Wenn er wach wird, bringen Sie ihn einfach auf sein Zimmer.«
    Auf dem Briefpapier des Hotels hinterließ ich dann noch eine Nachricht.
    » Hocam , Sie haben so tief geschlafen, da wollte ich Sie nicht stören. Ich hole Sie morgen um elf Uhr hier ab.«
    Als ich draußen auf Süleyman zuging, bemühte ich mich um ein möglichst freundliches Gesicht. Bevor ich ihn ansprach, tippte ich ihn sogar kurz auf den Arm.
    »Ist spät geworden heute«, sagte ich und trat dann noch näher an ihn heran, als ob meine Stimme dann wärmer klänge: »Kerem wartet schon auf sein Essen. Ob Sie mich wohl nach Hause fahren könnten?«
    Mein Gott! Ich schäme mich richtig, das hinzuschreiben. »Ob Sie mich wohl nach Hause fahren könnten?« Wie konnte ich dem Mann nur so schöntun! Meine Worte waren zwar nur genau so gemeint und nicht anders, aber dennoch. Aber was soll’s, ich schreibe einfach weiter, wie es mir in den Sinn kommt, ganz ohne Angst vor Missverständnissen. Schließlich bin ich keine
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