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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja
Autoren: Zülfü Livanelli
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sein konnte.
    Ahmet ist ein hochgewachsener dunkelblonder Mann, den man durchaus als gutaussehend bezeichnen kann. Seine kleinen Augen stehen zu nahe zusammen, aber kleine Schönheitsfehler schlagen bei Männern nicht so durch wie bei Frauen. Mit breiten Schultern und Muskeln machen Männer das locker wett.
    Vor acht Jahren haben wir uns scheiden lassen.
    Zwar habe ich nun einen Freund namens Tarık, doch der soll einstweilen in meinen Istanbuler Erinnerungen bleiben. Maya muss frei sein, unbelastet von irgendwelchen Beziehungen.
    Die Stewardess gleitet lautlos zwischen den schlafenden Passagieren hindurch und bringt mir den ausgezeichneten Portwein. Ich nehme einen Schluck und schließe die Augen.
    Die Geschichte, die mein Leben von Grund auf verändert hat und nun mit meinen Besuch im Massachusetts General Hospital ihr Ende nehmen soll, hat vor drei Monaten begonnen, an einem Februartag.
    Als ich damals gerade aus dem Rektoratsgebäude kam, läutete mein Handy.
    »Ach, Tarık, ich habe dermaßen viel zu tun«, sagte ich. »Der Papierkram macht mich noch wahnsinnig. Ich soll Pressemeldungen herausgeben, eine Rede des Rektors vorbereiten, die Zeitungen auswerten und und und. Noch dazu muss ich jetzt zum Flughafen und einen Gast aus dem Ausland abholen. Bei dem Verkehr. Und diesem Mistwetter.«
    Ich verstummte. Und fürchtete schon, es würde gleich eine gereizte Antwort kommen. Tarık stand ja selber unter Anspannung. Aber nein, es bahnte sich keine Auseinandersetzung an. Viel schlimmer im Grunde: Tarık gab kaum mehr von sich als »Hm« und »So, so«. Wer weiß, woran er gerade dachte. Vielleicht spielte er mit der anderen Hand an der Tastatur herum.
    Besser, er hätte gar nicht angerufen. Doch weil ich ihn schon mal dran hatte, jammerte ich weiter. Nun musste ich irgendwie einen versöhnlichen Abgang schaffen.
    »Du weißt ja, wie das Istanbuler Februarwetter einen nervt«, fuhr ich in sanfterem Ton fort. »Tag und Nacht nichts als Regen, andauernd friert einen, und alles, was man anfasst, kommt einem feucht vor. Dann der ständige Wind, mal von Norden, mal von Süden, die vielen Wellen auf dem Bosporus, und den ganzen Tag wird es nicht richtig hell …«
    »Ach ja«, sagte Tarık, »und was tut sich noch Schlimmes in deinem Leben?«
    Ich hielt das Handy ein wenig vom Ohr weg und starrte es wütend an.
    »Das wäre alles, keine Sorge! Und danke auch für dein Verständnis!«
    Hätte ich ihm vielleicht erzählen sollen, dass ich seit drei Tagen unentwegt Bauchschmerzen hatte, dass ich vergessen hatte, von zu Hause Tampons mitzunehmen, und dass ich es nur mit Müh und Not bis in eine Apotheke geschafft hatte?
    Er war ja ein feiner Kerl, aber so vertraut waren wir noch nicht.
    »Und wer soll das sein?«
    Das fragte er wohl nur, um das Schweigen zu brechen.
    »Wer soll was sein?«, fragte ich zurück.
    »Na der, den du vom Flughafen abholen sollst.«
    Ich sah auf den Zettel, den ich mitbekommen hatte.
    »Ein Maximilian Wagner. Professor Doktor, aus Harvard. Der Name klingt deutsch, aber der Mann soll Amerikaner sein.«
    »Und wozu kommt er?«
    »Weiß auch nicht. Ich habe seinen Lebenslauf dabei, den lese ich im Stau. Ich brauche bestimmt eine Stunde bis zum Flughafen.«
    »Na, dann wünsche ich dir mal Geduld, mein Schatz. Bis bald.«
    »Warum hast eigentlich angerufen?«
    »Weil ich mich heute Abend mit dir treffen wollte.«
    Und peng, legte er auf. Ob ich wohl jemals einen kennenlerne, der bei mir heraushört, was ich wirklich meine? Ist es wirklich so schwer zu begreifen, worum es eigentlich geht, wenn ich über das Wetter klage? Muss ich tatsächlich explizit sagen, dass mich mein ganzes Leben anstinkt? Wird je einer verstehen, dass mein Jammern über die viele Arbeit nur heißt, dass ich anlehnungsbedürftig bin? »Mistwetter« bedeutet nichts anderes als: Ich wäre so gerne bei dir. Warum kapiert das keiner? Was hat eine Umarmung für einen Sinn, wenn man jemanden dazu auffordern muss?
    Unser schmächtiger Fahrer Süleyman lenkte den schwarzen Wagen des Rektorats mit geschmeidigen Bewegungen auf die Autobahn. Das Dahinzuckeln im Schritttempo hatten wir zum Glück hinter uns. Die Autobahn verfügte wenigstens über einen Standstreifen, auf dem schwarze Limousinen wie die unsere zügig vorwärtskamen.
    Die regulären Spuren waren hoffnungslos verstopft. Mein Gott, was für Menschenmassen leben in dieser Stadt, dachte ich. Wer abends fliegen wollte, musste der etwa schon morgens losfahren?
    Man merkte, wie der
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