Serenade für Nadja

jetzt schon, also bitte, erzähl.«
    Ich fing an zu weinen.
    »Weißt du was«, sagte er auf einmal fröhlich, »deine Tränen überzeugen mich mehr als deine Worte. Alle zieren sich immer erst, aber irgendwann glauben sie mir doch. Was bleibt ihnen auch anderes übrig?«
    »Erzähl!«
    »Na schön. Eigentlich hätte Maximilian am 24. Februar sterben sollen. Er sollte im Black Sea Motel erfrieren. Ich hatte alles dafür vorbereitet. Deshalb war ich ja dort.« Sprachlos sah ich ihn an. Auch er blickte mir in die Augen, dann sprach er weiter. »Du weißt ja, dass Nadja an einem 24. Februar gestorben ist. Die Einsamkeit in einer Welt, in der seine Frau nicht mehr lebte, wurde Maximilian allmählich unerträglich. So würde ich leichtes Spiel haben.«
    »Und?«
    »Dann hast du meinen Plan vereitelt. Du hast ihn gewärmt und damit ins Leben zurückgerufen. Sein sterbender Körper erinnerte sich nach all den Jahren an die Liebe. Die Liebe und der Tod sind sich spinnefeind.«
    »Erzählst du mir etwa die Geschichte von dem Wesir, der vor dem Todesengel nach Samarkand davonläuft und ausgerechnet dort auf ihn treffen sollte?«
    »Nein, ich erzähle keine Geschichte. Die Geschichten sind in deinem Kopf.«
    »Warte mal. Dann bist ja du selber Teil der Geschichte. Und bist nur in meinem Kopf.«
    »Jetzt hast du es begriffen. Und dein Herz ist jetzt auch bereit, selber eine Geschichte zu erzählen.«
    Lachend ging er davon.
    Da ertönte wieder die Serenade. Ich stand auf, schüttelte mir den Sand aus den Haaren und nahm das Aufnahmegerät wieder an mich. Ob wohl der Taxifahrer noch auf mich wartete?
    Ich hielt nach dem Kästchen Ausschau, doch war es schon davongetrieben worden.
    »Adieu Max, adieu Nadja«, sagte ich.
    Und ich beschloss zu erzählen, was den beiden widerfahren war. Denn überleben kann nur ein Mensch, dessen Geschichte erzählt wird.
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Informationen zum Autor
    © Asli Girgin
    Zülfü Livaneli wurde 1946 in Konya-Ilgın (Türkei) geboren. In den 70er Jahren war er wegen seiner politischen Anschauungen gezwungen, die Türkei zu verlassen, erst 1984 kehrte er zurück. Zülfü Livaneli ist einer der bekanntesten Künstler der Türkei, der mit seinen Liedern, und Kinofilmen international große Erfolge feierte. Einige Jahre war er Mitglied des türkischen Parlaments, besonders setzte er sich dabei für die türkisch-griechische Aussöhnung ein.
    Seine Bücher, darunter fünf Romane, wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt (»Glückseligkeit«, Klett-Cotta 2009). Für sein breites Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den »Orhan-Kemal-Literaturpreis«.
    »Livaneli ist eine unverzichtbare Autorität in der kulturellen und politischen Szene der Türkei.«
    Orhan Pamuk