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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja
Autoren: Zülfü Livanelli
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einen Großteil des Tages auf dem Campus der legendären Universität herum und besuchte die Bibliothek und den Faculty Club. In der Stone Hall sollte noch am gleichen Tag ein Vortrag über den Nahen Osten gehalten werden, und da er für die Öffentlichkeit zugänglich war, wollte ich mir das nicht entgehen lassen. Letztlich war ich aber enttäuscht, denn ich bekamlediglich sattsam bekannte Thesen über den Islam und die westliche Welt zu hören. In letzter Zeit glaubte fast jeder, sich über den Islam auslassen zu müssen.
    Für alle Fälle hielt ich im Mantel stets den Ausweis parat, der mich als Universitätsangehörige auswies, aber niemand fragte mich danach. Ich konnte hingehen, wo ich wollte. Als es Mittag wurde, lief ich den Studenten sogar bis in die Mensa nach und reihte mich wie sie mit einem Tablett in die Schlange ein. Sie wirkten sehr selbstsicher und entspannt. Ich konnte nicht umhin, sie um ihre Lässigkeit zu beneiden. So wohl ich mich in dieser Atmosphäre auch fühlte, gab es mir doch immer wieder einen Stich, wenn mir Maximilian einfiel.
    Am Morgen darauf rief mich die Stationsschwester an. Der Professor wolle mich sehen. Ich eilte ins Krankenhaus, und kaum war ich in dem Zimmer, da wusste ich auch schon, dass Maximilian mir nicht böse war, so liebevoll sah er mich an. Er nahm mich bei den Händen und bedankte sich. Es habe ihn sehr gerührt, dass ich so viele Mühen auf mich genommen und ihm diese wertvollen Erinnerungsstücke bis nach Boston gebracht habe. In gewisser Weise hätte ich ihm damit einen Teil seiner Jugend wiedergeschenkt.
    »Als ich Sie kennengelernt habe, hätte ich nicht gedacht, dass Sie in meinem Leben eine so große Rolle spielen würden«, sagte er.
    Was war ich erleichtert! Nun war ich mir ganz sicher, ihn nicht verärgert zu haben.
    Dann sagte er, wo ich ihm nun schon so sehr geholfen hätte und zu seiner engsten Vertrauten geworden sei, habe er noch eine letzte Bitte an mich.
    »Ich habe viel darüber nachgedacht, ob ich Ihnen so etwas zumuten darf. Aber zumindest sagen möchte ich es Ihnen. Sie können jederzeit ablehnen, und ich wäre Ihnen deswegen ganz bestimmt nicht böse.«
    Ich sah, wie schwer ihm die Sache fiel. Er brachte es immer noch nicht über sich, seinen Wunsch auszusprechen.
    »Sie wissen doch, dass ich für Sie alles tun würde. Sagen Sie es ruhig, keine Angst.«
    Da sagte er es, und ich erstarrte. Es war unmöglich, nein zu sagen, doch fiel mir da eine sehr schwere Aufgabe zu.
    Es kamen Ärzte ins Zimmer, so dass ich hinaus musste. Ich ging in die Cafeteria hinunter und grübelte, was ich tun sollte.
    Am Nachmittag durfte ich nicht mehr zu Maximilian. Ich fragte die Stationsschwester nach seinem Zustand, aber sie gab mir keine Auskunft. Ihrem Gesicht war allerdings abzulesen, dass es nur noch wenig Hoffnung gab. Maximilian verblieb nicht mehr viel Zeit. Damit er nicht leiden musste, wurden ihm Betäubungsmittel verabreicht, so dass er kaum mehr ansprechbar war.
    Zwei Tage lang wurde ich am Telefon negativ beschieden, und als ich am dritten Tag wieder fragte, ob ich ihn sehen könne, sagte die Stationsschwester: »Ich fürchte, Sie werden ihn gar nicht mehr sehen können. Er ist heute früh verstorben. Tut mir sehr leid.«
    Obwohl ich darauf eigentlich eingestellt war, traf mich die Nachricht wie ein Schlag.
    Ich legte mich aufs Bett, schloss die Augen und ließ noch einmal alle Momente vorbeiziehen, die ich vom Augenblick des Kennenlernens an mit ihm erlebt hatte. Mal musste ich schmunzeln, mal durchzuckte es mich schmerzlich.
    Am folgenden Tag rief mich Nancy Anderson an und sagte, wir müssten uns treffen. Ich lud sie in mein Hotel ein, und als sie kam, hatte sie ein Paket dabei.
    Von der Stimme her hatte ich sie für ein junges Mädchen gehalten, doch war sie eine etwa fünfzigjährige blonde Frau. In der Hotelbar bestellten wir Whisky und tranken gemeinsam auf Maximilian. Wir unterhielten uns über ihn und über die Beerdigung, die zwei Tage darauf stattfinden sollte. Bevor Nancy Anderson wieder ging, gab sie mir das Paket und sagte: »Das soll ich Ihnen von Professor Wagner aushändigen.«
    Ich nahm das Paket an mich und machte mich gleich daran, es zu öffnen, doch hielt mich Nancy mit einer Geste davon ab. So verabschiedeten wir uns zuerst, und ich öffnete das Paket erst auf meinem Zimmer. Es kam ein Geigenkasten zum Vorschein, und er enthielt die Geige, die schon zweimal in Istanbul gewesen war.
    Ihr lag ein von Maximilian beschrifteter Umschlag
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