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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja
Autoren: Zülfü Livanelli
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Plattform vor uns war der Name Isaac Newton eingraviert. Schwarzgekleidete Männer hievten den Sarg auf einen mit Nelken geschmückten steinernen Tisch. Wieder wurden Reden gehalten.
    Dann kam etwas, was ich mein Leben lang nicht mehr vergessen werde. Ein junges Mädchen, das in Harvard Musik studierte, trat auf die Plattform und spielte die von Maximilian komponierte Serenade.
    Ich zog mein kleines Aufnahmegerät heraus und drückte auf die Taste. Zum ersten Mal hörte ich das Stück in seiner vollen Länge und sah dabei Maximilian vor mir, wie er sich am Strand von Şile abmühte. Es war ein wunderbares Werk, und ich verstand, dass es Nadja gerührt hatte. Was musste sie, die von Schuberts »Serenade« schon so mitgenommen wurde, erst empfunden haben, als sie zum ersten Mal diese für sie geschriebene Musik hörte? Als das Stück zu Ende war, saßen alle ehrfürchtig schweigend da. Geklatscht wurde nicht.
    Dann stand einer nach dem anderen auf und ging vor zum Sarg. Als ich an der Reihe war, legte ich eine Nelke auf den Sarg, verneigte mich leicht und sagte leise: »Adieu, Max. Ich werde Ihren letzten Wunsch erfüllen.«
    Dann senkte sich der Stein, auf dem der Sarg auflag, in den Krematoriumsofen hinab. Während Maximilian den Flammen übergeben wurde, verließ ich den Raum.
    Mein Flug nach Frankfurt ging um Mitternacht. Ich aß mit Nancy im Hotel zu Abend, dann brachte sie mich zum Flughafen. Wir verabschiedeten uns herzlich, und ich ging mit meinem Koffer, dem Geigenkasten und dem Päckchen, das Nancy mirzum Schluss überreicht hatte, zum Check-in-Schalter. Dort erklärte ich meinen Fall, worauf man mich in ein nahe gelegenes Büro bat.
    Ein schwarzer Zollbeamter fragte mich, ob das Päckchen Metall enthalte.
    »Nein. Mahagoni.«
    »Metall ist nämlich verboten. Können Sie es mal aufmachen?«
    Ich öffnete den mit Schaumstoff ausgeschlagenen Karton, der ein Mahagoni-Kästchen enthielt. Ich holte es heraus und stellte es auf den Tisch. Auf der Vorderseite waren zwei weiße Tauben dargestellt. Das Kästchen sah aus wie ein Kunstwerk.
    »Wessen Asche ist das?«
    »Die Asche des Harvard-Professors Maximilian Wagner.«
    »Und wo bringen Sie die hin?«
    »Nach Istanbul. Das wollte er so.«
    »Sind Sie verwandt mit ihm?«
    »Nein.«
    »Kann ich mal Ihren Pass sehen?«
    »Natürlich.«
    Er blätterte darin herum und sagte dann: »Sie sind vermutlich Muslimin?«
    »Ja.«
    »Ist im Islam das Verbrennen von Toten nicht eine Sünde?«
    »Weiß nicht, kann schon sein. In Istanbul gibt es kein Krematorium.«
    Die Sache kam dem Beamten seltsam vor. Ein Muslimin, die die Asche eines katholischen Professors mit deutschem Namen nach Istanbul brachte. Meine ernste, ziemlich abweisende Haltung brachte ihn davon ab, noch weitere Fragen zu stellen. Er tat jetzt nur noch seinen Dienst.
    »Haben Sie den Totenschein dabei?«
    »Ja. Bitte schön.«
    Ich hielt ihm den Umschlag hin, den Nancy mir mitgegeben hatte.
    »Und die internationale Einäscherungsbescheinigung?«
    »Ist auch drin.«
    Er sah sich alles an und prüfte auch die Geige.
    »Gut. Scheint alles in Ordnung zu sein. Entschuldigen Sie bitte, falls ich Sie mit meinen Fragen belästigt habe.«
    »Nein, nein. Aber warum interessiert Sie das mit dem Islam so?«
    »Weil ich selber Muslim bin. Elhamdullilah! «
    Ich verstaute das Kästchen wieder in seinem Karton und ging damit in den Warteraum.
    Während des Fluges machte ich diesmal den Laptop nicht an. Außer wenn ich zum Essen das Tablett vor mir herunterklappen musste, hielt ich das Kästchen mit der Asche fest, als könnte ich dadurch jeden mit Maximilian erlebten Augenblick lebendig erhalten. Ich ging innerlich noch einmal alles durch, von dem Moment an, wo er am Flughafen vor mir den Hut gezogen hatte. Und obwohl ich doch seine Asche in Händen hielt, kam ich nicht von dem Gedanken los, dass er irgendwo noch lebte, redete und lachte. Er konnte nicht in diesem Kästchen sein. So viel Wissen, Erfahrung, Liebe, Freude und Schmerz passten da nicht hinein. Höchstens der nackte Verstand konnte das akzeptieren, das Gefühl aber nicht.
    In Frankfurt musste ich nicht wieder durch den Zoll und setzte mich gleich in den Warteraum. Seit 1939 war Maximilian nie wieder in Deutschland gewesen, doch seine Asche verbrachte nun zwei Stunden in der alten Heimat.
    Wie sonderbar: Er hatte nicht gewollt, dass seine Asche in Deutschland verstreut wurde, auf dem Grab seiner Eltern etwa, im Rhein oder vor dem Haus in München. Ohnehin hatte sein
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