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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja
Autoren: Zülfü Livanelli
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Leben am Ufer des Schwarzen Meeres geendet, und die Trauerfeier fand jetzt nur mit Verzögerung statt.
    Am Istanbuler Zoll fragte niemand nach meinem Päckchen. Ich fuhr nach Hause, stellte das Kästchen auf den Tisch und legte die Geige daneben. Nach einem Vollbad nahm ich mein Schlafmittel und legte mich ins Bett.
    Am nächsten Tag fuhr ich mit einem Taxi in Richtung Şile und fand auch die kleine Straße, die zu jenem Strand führte. Als wir zu dem Hügel gelangten, bat ich den Taxifahrer, zu warten.Das Meer war von hier noch nicht sichtbar, denn er sollte mich auch nicht sehen. Ich wollte mit Maximilian und Nadja alleine sein.
    Es war herrliches Wetter, kein Vergleich mit der eisigen Kälte von damals. Die Sonne schien, und das Meer lag still da, gerade so, als könnten Ameisen daraus trinken, wie die Fischer der Gegend sagen.
    Ich nahm das Kästchen und ging auf den Strand zu. Das schäbige Black Sea Motel zu meiner Linken würdigte ich keines Blickes. Am Ufer angekommen, nahm ich das Aufnahmegerät heraus, drückte auf die Wiedergabetaste und stellte es in den Sand. Es ertönte die von der Harvard-Studentin gespielte Serenade. Ich öffnete das fest verschlossene Kästchen. Die Asche darin füllte es gerade bis zur Hälfte. Wie konnte der große Mann nur zu so wenig Asche verbrannt sein.
    »Adieu Max«, sagte ich und leerte das Kästchen ins Meer.
    Die Ascheteilchen wurden von den Wellen davongetragen.
    »Jetzt geht er zu Nadja«, dachte ich.
    Der zweite Teil der Serenade begann.
    Auch das leere Kästchen warf ich ins Meer, wo es auf den Wellen einen fröhlichen Tanz aufführte.
    Ich legte mich rücklings in den Sand. Über den blauen Himmel zogen leichte weiße Wolken. Manchmal kamen Möwen in mein Gesichtsfeld und waren schnell wieder weg. Mir fiel der Brief wieder ein, den Nadja an Maximilian geschrieben hatte. Sie hatte sich vom Himmel ein positives Zeichen erhofft und einen Vogelschwarm erblickt.
    Ob mir wohl in so einem bedeutenden Moment auch ein Zeichen zuteil wird?, dachte ich. Ich schloss die Augen eine Weile und öffnete sie wieder. Da war nichts.
    Die Serenade war verklungen, und außer einer leichten Brise und zartem Meeresrauschen war nichts zu hören. Mir fielen die Augen zu.
    Ich muss ein wenig geschlafen haben. Als ich die Augen wieder öffnete, stand ein Mann vor mir und sah mich an. Wenn man schlafend ertappt wird, geniert man sich immer ein wenig, undentsprechend verlegen setzte ich mich auf. Da sah ich erst, wen ich vor mir hatte. Es war der junge Kerl mit dem spitzen Gesicht aus dem Black Sea Motel .
    »Gut gemacht«, sagte er.
    »Was habe ich gut gemacht?«
    »Du hast deinen Auftrag ausgeführt.«
    »Nämlich?«
    »Nämlich den Professor bei seiner Nadja bestattet. Und ihm damit ewigen Frieden verschafft.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich weiß noch viel mehr, doch bin ich mir nicht sicher, ob du es auch ertragen könntest.«
    Ich war völlig verblüfft.
    »Wer bist du?«
    »Wenn ich es dir sage, glaubst du mir nicht.«
    »Sag es trotzdem.«
    »Nein, du wirst nur spotten.«
    »Warum sollte ich das?«
    »Weil dein Herz dafür noch nicht reif ist.«
    »Ich werde dir glauben, ich verspreche es dir. Also sag schon, wer bist du?«
    Unschlüssig sah er mich an.
    »Aber nicht lachen, ja?«
    »Versprochen. Ich lache nicht, und ich glaube dir. Also, wer bist du?«
    Er sah sich noch einmal um und neigte sich dann zu meinem Ohr.
    »Ich bin der Todesengel Azrail«, flüsterte er.
    Ich musste ein Lachen unterdrücken.
    »Siehst du, habe ich es nicht gesagt?«
    »Was?«
    »Du hast gelacht.«
    »Habe ich nicht.«
    »Du hast es nur unterdrückt.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Ich sage doch, ich bin Azrail. Ich weiß alles, aber kann esnur dem sagen, dessen Herz bereit ist. Und deines ist noch nicht bereit, wie ich sehe. Sonst würde ich dir viel Bedeutsameres sagen.«
    Er drehte sich um und ging auf das Motel zu. Ich folgte ihm und ging sogar schneller als er, ja lief, und konnte ihn doch nicht einholen. Immer größer wurde der Abstand zwischen uns.
    Schließlich gab ich auf und sank auf die Knie.
    Da blieb er stehen und kam zu mir zurück.
    »Weißt du, du bist schon eine seltsame Frau.«
    »Warum das?«
    »Weil niemand außer dir dem Todesengel hinterherläuft.«
    »Aber du bist doch gar nicht wegen mir gekommen.«
    »Das stimmt, denn deine Zeit ist noch nicht abgelaufen. Was willst du dann von mir?«
    »Du sollst mir alles erzählen.«
    »Dafür ist dein Herz noch nicht bereit.«
    »Doch,
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