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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja
Autoren: Zülfü Livanelli
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Schriftstellerin. Der Wert dieser Aufzeichnungen ergibt sich allein daraus, wie aufrichtig ich bin.
    Süleyman zögerte kurz. Wahrscheinlich überlegte er, was sich aus meiner Bitte herausschlagen ließ. Dann sagte er: »Na, steigen Sie schon ein.«
    Das tat ich, und dabei fiel mir wieder der weiße Renault auf. Es saßen drei Männer drin. Der am Steuer rauchte grinsend. Anscheinend beobachteten sie uns. Oder kam mir das nur so vor?
    Ach was, dachte ich, warum sollten sie uns beobachten? Und wenn schon. Obwohl, auffällig war es doch. Wenn man zu einemHotel fährt, warum steigt man dann nicht aus? Es waren wohl doch Personenschützer. Die amerikanische Botschaft oder die türkische Regierung wollte auf den Professor aufpassen. Er musste also ein bedeutender Wissenschaftler sein. Dabei war er doch kein Kernphysiker, sondern Rechtsprofessor …
    Ich sah zum Rückfenster hinaus. Die Männer musterten mich nach wie vor, auf eine unverschämte Art.
    Süleyman bemühte sich inzwischen, den Mercedes in Gang zu bekommen, doch der Motor hustete und stotterte nur. Immer wieder drehte Süleyman energisch den Zündschlüssel herum. Irgendwann winkte er ab und drehte sich zu mir zurück.
    »Tut mir leid, ich habe ihn abgewürgt.«
    Zweifelnd sah ich ihn an. Der Mercedes war ja nun wirklich sehr alt und hatte andauernd irgendwelche Mucken, doch konnte es nicht etwa sein, dass Süleyman nur einen Vorwand suchte, um mich nicht heimfahren zu müssen? Es war unmöglich, das herauszubekommen.
    »Na gut«, sagte ich und stieg wieder aus, und so stand ich plötzlich auf der Straße und wusste nicht weiter. Kurz entschlossen ging ich ins Hotel zurück. Kaum war ich drinnen, fragte ich mich auch schon, warum ich nicht in eines der draußen im Regen wartenden Taxis gestiegen war.
    Der Portier spannte seinen Regenschirm zu und sah mich verwundert an. Der Professor wiederum schlief noch immer tief und fest. Er sah jetzt noch bleicher aus. Mit leicht geöffnetem Mund lehnte er da wie ein schutzloses Kind. Seine sorgfältig gekämmten Haare hatten einen glänzenden Blaustich. Ich stupste ihn am Arm und sagte leise: »Herr Professor … Herr Professor …«
    Da schlug er zögerlich die Augen auf und sah sich erst einmal verwundert um. Als er sich wieder zurechtgefunden hatte, sagte er: »Entschuldigung, ich muss eingeschlafen sein, tut mir wirklich leid.«
    »Das braucht Ihnen doch nicht leid zu tun«, erwiderte ich lächelnd. »Sie sind seit vierzehn Stunden unterwegs, und Ihr Rhythmus ist durcheinander. Da ist das ganz normal.«
    Ich blieb noch ein wenig neben ihm stehen, bis er wieder all seine Sinne beisammen hatte, dann sagte ich: »Ihr Zimmer ist fertig. Kommen Sie, ich bringe Sie hinauf.«
    Ich half ihm aus dem Sessel. Mit dem Aufzug, einem Prachtstück aus Holz und Eisen, fuhren wir in den dritten Stock hinauf. Als uns der mitgekommene Hotelboy mit einem großen eisernen Schlüssel die Zimmertür öffnete, schlug uns der für alte Gebäude so typische Modergeruch entgegen. Old man, old hotel!
    Der Professor stellte den Geigenkasten auf die Mahagonikonsole, und ich half ihm aus dem Mantel. Dann sagte ich: »So, ich gehe dann, hocam . Morgen essen Sie mit dem Rektor zu Mittag, dazu hole ich Sie um elf Uhr hier ab.«
    »Wir wollten doch zusammen etwas trinken. Nun ja, die Gelegenheit habe ich verpasst. Aber darf ich Sie jetzt zum Abendessen einladen?«
    »Das würde ich liebend gerne annehmen, aber zu Hause wartet mein Sohn auf mich.«
    Er nickte verständnisvoll.
    Als ich wieder draußen war, sah ich, dass der Mercedes noch immer dastand. Süleyman grinste mich an.
    »Ich habe die Karre wieder angekriegt. Kommen Sie schon, ich bringe Sie heim.«
    Als wir losfuhren, fiel mir der weiße Renault wieder ein. Ich drehte mich um. Nein, er war weg. Gut so. Jetzt konnte ich mich entspannen und mich dem sanften Rütteln des Wagens überlassen.
    Moment. Waren die Kerle wirklich weg? Und wenn sie sich nur versteckt hatten? Womöglich entführten sie den Professor diese Nacht. Und wenn ich dann morgen Vormittag hinkam: kein Professor mehr da. Oder aber sie fuhren uns gerade nach. Ich erschauderte.
    Jetzt lass den Unsinn, Maya, schalt ich mich. Das sind doch Hirngespinste.
    Während Süleyman den Mercedes über den Tarlabaşı Bulvarı in Richtung Taksim lenkte, drehte ich mich dennoch immer wieder um. Weiße Renaults waren eine ganze Menge unterwegs,aber in keinem davon saßen die Kerle. Wieso gab es überhaupt so viele weiße Renaults, hatten die
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