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Eine unberührte Welt - Band 4 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 4 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 4 (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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Der Supermarkt im Nebel
    Wie entstehen eigentlich Ideen zu Geschichten? Das werde ich oft gefragt. Am Beispiel der folgenden Erzählung lässt es sich, glaube ich, bemerkenswert gut nachvollziehen. Alles, was ich dazu erklären muss, ist, dass hier in der Bretagne, wo meine Frau und ich seit einiger Zeit leben, sehr oft sehr dichter Nebel herrscht – und dass wir anfangs auf den vielen kleinen Straßen zwischen all den kleinen Orten mit nahezu gleichlautenden Namen öfter mal die Orientierung verloren haben.
    Der Rest – ist Fantasie …
     
    »Völlig unnötig«, sagte Ulrich. »Dass wir beide in der Gegend herumfahren nur wegen einem Glas Meerrettich, meine ich.«
    »Ich bin eben solidarisch«, sagte Juliane.
    »Und dann an Heiligabend. Haben die Geschäfte überhaupt noch auf?«
    »Bis dreizehn Uhr.«
    Ulrich riss das Steuer zur Seite. »Hast du den gesehen? So zu rasen bei dem Nebel.«
    »Mmh.«
    »Dass auch immer was fehlen muss. Für wie viel haben wir gestern eingekauft? Zweihundertsechzig Euro, und dann vergessen wir den Meerrettich. Wenn was nicht geht, dann Nürnberger Rostbratwürste ohne Meerrettich.«
    »Wir hätten ja auch was anderes machen können.«
    Ulrich schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, nein, nein. Wir werden nicht unsere Traditionen aufgeben, nur weil wir keine Vorratshaltung hinkriegen. Das ist ja fast peinlich. Wenn ich da an deine Freundin Gertrude denke –«
    »Gerda. Du sagst immer Gertrude, aber sie heißt Gerda.«
    »Gerda, mein ich doch. Ist dir schon mal aufgefallen, dass man bei der reinschneien kann, wann man will – die hat immer alles da? Nachtische, Eis, frisches Obst, was du willst … Und das, wo sie allein lebt. Ich frag mich, wie sie das macht. Ich frag mich sowieso, wie so was geht, mit dem mickrigen Gehalt. All die Reisen, die sie unternimmt. Und gut angezogen ist sie auch immer.«
    »Sie näht viel selber. Das spart eine Menge.«
    Ulrich schob den Kopf vor, spähte hinaus. »Wo muss ich denn jetzt ab? Der Nebel wird immer dichter, hab ich das Gefühl. Rechts, oder?«
    »Ich weiß nicht. Ich hab nicht aufgepasst.«
    »Na toll. Da hätte ich auch gleich allein fahren können.«
    Juliane seufzte. »Müssen wir denn unbedingt streiten? An Weihnachten?«
    »Ich streite doch gar nicht.«
    »Klang aber so.«
    Ulrich holte geräuschvoll Luft, schwieg aber. Nach einer Weile sagte er in bemüht konziliantem Ton: »Ich habe mich bloß gefragt, wieso wir das mit dem Einkaufen nicht hinkriegen. Zwei erwachsene Leute. In der Firma geht’s doch auch. Man hat ein Lager, hat ein Verzeichnis – Lagerhaltung eben. Das ist in einem Haushalt doch nicht anders. Wir müssten uns einfach nur angewöhnen, jede Woche einen Speiseplan aufzustellen. Vielleicht auch systematisch die Prospekte mit den Sonderangeboten durchsehen – dass man die nicht bloß wegschmeißt und sich ärgert, verstehst du, sondern auch nutzt! Und immer eine Einkaufsliste zu schreiben.«
    »Für Weihnachten müssen wir ja wohl keinen Speiseplan aufstellen.«
    »Eben. Da könnten wir sogar dieselbe Einkaufsliste jedes Jahr –«
    »Ulrich!« , schrie sie.
    Das Auto legte sich zur Seite, als Ulrich reagierte und das Steuer herumriss. »Ups«, machte er. »Scheiß-Nebel. Das ist aber auch eine blöde Kurve …« Er ging mit dem Tempo runter. »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo wir im Moment sind.«
    Juliane zeigte nach links, wo etwas durch den Nebel schimmerte. »Da. Da ist ein Supermarkt.«
    »Superkauf?« , las Ulrich. »Waren wir hier schon mal? Kommt mir ganz unbekannt vor.«
    »Ist doch egal. Meerrettich werden sie schon haben.«
    »Stimmt auch wieder.«
    Der Nebel lag dick und wattig über dem Parkplatz, beschlug Ulrichs Brille, als sie ausstiegen, und feuchtete ihre Mäntel. Die Leuchtreklame über dem Eingang war von einem Heiligenschein umhüllt.
    »Der muss ganz neu aufgemacht haben«, konstatierte Juliane, als sie ins Innere kamen. Alles war ganz neu und sauber und von geradezu überirdischem Glanz erfüllt … Was aber vermutlich an der beschlagenen Brille lag. Oder überhaupt an dem Kontrast zu dem Sauwetter draußen.
    »Einen Wagen?«, tadelte Ulrich, als Juliane nach einem der Einkaufswagen griff. »Um ein Glas Meerrettich zu kaufen?«
    »Wenn wir schon mal da sind …«
    »Nein, nein, nein.« Er nahm ihr den Wagen aus der Hand und schob ihn zurück. »Nicht schon wieder Spontankäufe für hundertzwanzig Euro.«
    Das Obst sah märchenhaft aus, das Gemüse wie gerade eben geerntet. Die Fischtheke war
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