Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja
Autoren: Zülfü Livanelli
Vom Netzwerk:
noch jemand, der sich zumindest bemüht hatte. Und zumindest an einen Teil seiner Gefälligkeiten hätte er sich bis dahin so gewöhnt, dass er sie nicht wieder aufgegeben hätte.
    Mit eifriger Miene setzte ich mich an meinem Schreibtisch und sah aus dem Augenwinkel den innerlich bebenden Süleyman davongehen.
    Wie jeden Morgen machte ich mich als Erstes daran, für den Rektor einen Pressespiegel mit allen Nachrichten zu erstellen, die die Universität und im Speziellen das Rektorat betrafen. Über Professor Wagner fand ich zwei kleine Meldungen, aus denen hervorging, dass er am Nachmittag in der Universität eine Rede halten würde.Beinahe flüsternd fragt mich die Stewardess, ob ich noch einen Wunsch habe. Die hübsche blonde Frau in ihrer blauen Uniform wirkt jetzt noch zuvorkommender. Ich lehne dankend ab, denn noch einen Portwein würde ich wohl kaum vertragen. Auch schlafen mir allmählich die Beine ein. Am besten, ich mache eine Pause und verschaffe mir etwas Bewegung.

2
    Als ich aus dem Unigebäude trat, hatte es aufgehört zu regnen. Durch die Wolkendecke hindurch trafen schon einzelne Sonnenstrahlen in die Pfützen auf den Gehsteigen, auf die Moscheekuppeln, die Schornsteine der Stadtdampfer, die über dem Meer kreisenden Möwen.
    Vor dem Hotel sah ich mich nach dem weißen Renault um. Dass ich ihn nirgends erblickte, beruhigte mich nur halbwegs. Die Kerle konnten ja woanders geparkt haben oder erst später eintreffen.
    Als ich nach dem Professor fragte, sagte der junge Rezeptionist: »Sein Schlüssel hängt da. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, er ist ausgegangen.«
    Es war fünf vor elf. Der Professor musste früh aufgestanden sein, um auf Erkundung zu gehen. Ich setzte mich ins Foyer. Am Nebentisch saß ein älteres Paar, allem Anschein nach Amerikaner, über eine Istanbul-Karte gebeugt.
    Nach ein paar Minuten trat voller Elan der Professor durch die Drehtür. Von der Müdigkeit des Vortags war ihm nichts mehr anzumerken. Unter dem schwarzen Mantel trug er ein graues Flanelljackett und eine hellblaue Krawatte. Wieder lüpfte er zum Gruß seinen Hut. Ich bestätigte ihm mit einem Lächeln, wie sehr ich diese Geste schätzte.
    »Habe ich Sie warten lassen?«, erkundigte er sich. Selbst seine Stimme hatte etwas Lebhafteres.
    »Nein, ich bin gerade erst gekommen.«
    »Ich bin nach dem Frühstück ein wenig herumgelaufen. Schließlich kenne ich mich im Prinzip hier aus. Aber Pera hat sich schon sehr verändert, ich erkenne es kaum wieder.«
    Er schien diesmal viel mehr auf eine Unterhaltung aus zu sein.
    »Schon zu meinen Lebzeiten hat sich hier viel verändert«, sagte ich, »wie muss es da Ihnen erst ergehen.«
    »Die İstiklal-Straße habe ich als schickste Gegend von ganz Istanbul in Erinnerung. Jetzt wirkt sie eher wie eine Amüsiermeile.«
    »Das ist noch vornehm ausgedrückt. Sie können ruhig sagen, dass die Straße heruntergekommen ist, ich bin da nicht beleidigt.«
    »Nein, nein, so meine ich es nicht. Städte verändern sich nun mal, und Menschen auch, das habe ich zur Genüge erlebt.«
    »Aber die Gegend ist doch völlig degeneriert.«
    »Das ist ein Wort, das ich nicht gern benutze. In Bezug auf was oder wen soll sie degeneriert sein? Das ist doch alles relativ.«
    Ich zog es vor, ihm nicht weiter zu widersprechen und das Gespräch lieber in andere Bahnen zu lenken.
    »Sind Sie durch Asmalımescit gekommen?«
    »Ja.«
    »Die Straße hat sich ziemlich gemacht. Es gibt jetzt viele Cafés und Kneipen dort.«
    »Ja, sehr schön.«
    Als Süleyman dem Professor beim Einsteigen die Tür aufhielt, wurde er von diesem mit einem Trinkgeld bedacht und bedankte sich dafür mit einer Verbeugung.
    Unterwegs sah der Professor sehr aufmerksam zum Fenster hinaus. Als wir auf die Galata-Brücke einbogen, deutete er auf die Süleymaniye-Moschee, die auf dem Hügel gegenüber in all ihrer Pracht erglänzte.
    »Da ist sie!«, rief er aus. »Ein herrlicher Bau. Ich habe mich immer wieder in den Hof der Moschee gesetzt, um dort Ruhe zu finden.«
    Für einen Amerikaner fand ich das erstaunlich. Ich enthielt mich aber jeglichen Kommentars.
    Etwas geradezu Kindliches hatte der Professor nun im Blick. Er staunte die an- und ablegenden Dampfer an, die Fischverkäufer auf ihren schwankenden Booten, die vielen Leute auf der Brücke, die Angler, das Goldene Horn, die Tauben vor der Yeni-Moschee …
    Und ohne den Blick von der Scheibe zu wenden, sagte er versonnen: »Istanbul ist wie eine untreue Geliebte.«
    Es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher