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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja
Autoren: Zülfü Livanelli
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zum Geschlechtsverkehr mit Pferden, Hunden, Affen und Schlangen gezwungen.
    Für Liebe, Zärtlichkeit und dergleichen war in diesen Filmen kein Platz. Es war eine Atmosphäre der Gewalt, die allen Grundsätzen der Menschlichkeit hohnsprach. So also lernte mein Sohn die Welt und die Frauen kennen? Hatte er deswegen keinen Respekt vor mir, weil ich auch eine Frau war und damit erniedrigt werden durfte? Was für eine kranke Welt.
    Ich ging dann auf Webseiten, bei denen mein Sohn als Mitglied registriert war. Zwar hatte ich nicht überall Zugang, da oft ein Passwort verlangt wurde, aber auch so wurde mir schnell klar, dass von Selbstmordtipps bis zum Bombenbau alles vorhanden war.
    Als ich den Computer wieder ausmachte, verblieb ich eine Weile in Schockstarre. Das also war die Internet-Welt, die meinen Sohn an sich fesselte.
    Warum wurde nicht eingeschritten gegen ein System, das die Menschenrechte derart mit Füßen trat und Millionen von Jugendliche wie Kerem in anormale, selbstmordanfällige, unsoziale Menschen verwandelte?
    Als ich Ahmet darauf ansprach, wiegelte er gleich ab. Kerem sei eben ein Junge in der Pubertät, da komme so was schon mal vor. Ich solle mir da nur keine Sorgen machen. Dabei ging es ihm doch lediglich darum, nur ja keine Verantwortung für den Jungen zu übernehmen.
    Über all diesen Gedanken schlief ich irgendwann ein. Als ich gegen Morgen wieder wach wurde, schoss mir als Erstes der weiße Renault in den Sinn. Ob ich nicht wirklich übertrieb? Es konnte doch reiner Zufall sein.
    Dennoch stand ich auf und ging zum Fenster. Es war draußen völlig still. Unter einer Straßenlampe parkte tatsächlich ein weißer Renault, doch war nicht auszumachen, ob jemand drinnen saß. Ich legte mich wieder hin.
    Zwei Stunden später klingelte der Wecker, und es begann wieder der tägliche Kampf, Kerem aus dem Bett zu bekommen. Ich stellte den Fernseher laut, knipste die Lichter an, riss alle Vorhänge auf, doch alles vergeblich. Schließlich wusste ich, dass er doch wieder nicht zur Schule gehen, sondern vor dem Computer versacken würde. Es gab Tage, an denen er rechtzeitig aufstand und auf meine Mahnungen, den Schulbus nicht zu verpassen, einigermaßen zivilisiert reagierte, aber dann folgten auch immer wieder Phasen, in denen nichts mit ihm anzufangen war.
    Einmal hatte ich in meiner Verzweiflung Ahmet angerufen und gesagt: »Dein Sohn steht ums Verrecken nicht auf, und in die Schule geht er auch nicht. Kümmere gefälligst du dich mal um ihn, es ist auch dein Sohn.« Er hatte mir geanwortet, er müsse dringend in eine Besprechung und könne jetzt nicht reden, und schon hatte er aufgelegt. Ich hatte daraufhin vor Wut geweint.
    Nun waren wieder mal solche Krisentage, doch um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen, eilte ich aus dem Haus, zur Haltestelle des Sammeltaxis. Für ein Frühstück war keine Zeit. Ich würde unterwegs einen Simit essen und in der Uni dann einen Tee trinken.
    Als ich auf mein Büro zuging, sah ich an der Tür Süleyman stehen.
    »Guten Morgen«, sagte er. »Kann ich kurz was mit Ihnen bereden?«
    »Klar, gehen Sie nur rein.«
    Breit grinsend fragte er: »Wie geht’s heute Morgen?«
    »Gut. Sagen Sie schon, was los ist, ich hab’s eilig. Ich muss zum Rektor.«
    »Genau um den geht es.«
    »Wie bitte?«
    »Ihnen schlägt er doch nichts ab, der Rektor. Ich habe da einen Neffen, Hüseyin heißt er. Könnten Sie den Rektor nicht mal fragen, ob er für den Jungen einen kleinen Job hätte, als Bote oder Teejunge?«
    Aha, daher gestern die Freundlichkeit …
    »Mit so etwas kann ich den Rektor nicht behelligen. Sagen Sie es ihm doch selbst.«
    Missmutig sah er mich an.
    »Wir müssen um elf im Hotel sein, wann sollen wir losfahren?«, fragte ich in sanfterem Ton.
    »Um zehn.«
    Er klang kalt dabei, aber nicht eigentlich wütend. Gerade das aber, diese unterschwellige Wut, war besonders gefährlich. Es war wohl ein Fehler gewesen, Süleyman so direkt abzuweisen. Im Orient musste man eigentlich anders vorgehen. Hätte ich gesagt: »Klar, ich kümmere mich darum«, wäre alles in Butter gewesen.
    Dabei hätte ich dem Rektor nicht einmal etwas sagen brauchen. Es hätte genügt, Süleyman lange genug hinzuhalten, und während dieser Zeit des hoffnungsvollen Wartens wäre er zu mir nur umso aufmerksamer gewesen. Und hätte mich Abend für Abend nach Hause gefahren.
    Irgendwann wäre dann deutlich geworden, dass der Sache kein Erfolg beschieden war, doch in Süleymans Augen wäre ich dann immer
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