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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja
Autoren: Zülfü Livanelli
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eine oder andere versucht war, es uns gleichzutun, aber die Angst vor dem Bußgeld schreckte die meisten doch ab. Gut, ich ließ mich hier selber an den anderen vorbeichauffieren, aber ich fuhr schließlich nicht zum Vergnügenherum. Wenn man in einer Stadt, in der fünfzehn Millionen aufeinanderwohnen, nicht ein paar Privilegien genießt, wie soll man dann überhaupt leben?
    »Worüber lachen Sie?«
    Starrte der Kerl mich also im Rückspiegel an. Schau lieber, wo du hinfährst!
    »Ach nichts, mir ist nur was eingefallen«, erwiderte ich. »Wann sind wir da?«
    »So in zwanzig Minuten«, erwiderte er. »Und ohne den Standstreifen, na ja, um Mitternacht.«
    Wir passierten Polizisten, die zu kontrollieren hatten, ob auf dem Standstreifen ein Normalbürger unterwegs war, den es anzuhalten und herunterzuputzen galt, oder ob wir hochwichtige Persönlichkeiten waren, die pflichtschuldigst zu grüßen wären. Als sie das blaue Licht sahen, das vorne an unserem Kennzeichen aufblinkte, identifizierten sie uns als Mitglieder der Elitenrepublik und tippten sich an die Dienstmütze.
    Was für ein Paradies, unser Land! Wie leicht doch alles war. Im Auto des Rektors.
    Ich musste doch mal diese Papiere lesen. Rechtsprofessor war der Mann, Amerikaner und ledig. Schon Professor und noch ledig?
    Ich hatte etwas übersehen, und zwar das Geburtsdatum von Maximilian Wagner: 19. August 1914. Damit war der Gute siebenundachtzig Jahre alt. Was fuhr er da noch in der Weltgeschichte herum? Er war vermutlich schon Witwer, oder geschieden. Obwohl, in seiner Generation waren Scheidungen noch nicht so üblich. Man heiratete, um zusammen zu leben, und nicht, um sich bei der ersten Gelegenheit scheiden zu lassen.
    Das hatte mir gerade noch gefehlt. Drei Tage lang würde ich damit beschäftigt sein, einem alten Mann beim Einnehmen seiner Medikamente zu helfen. Was musste dieser Maximilian Wagner ausgerechnet im schweinekalten Februar kommen?
    Ich konnte mir auch schon denken, was er alles fragen würde. Was, so kalt ist es hier? Ich habe nur Sommersachen dabei. Ach, hier gibt es ja richtige Autobahnen? Entschuldigen Sie mal, Sietragen gar kein Kopftuch? Dürfen eigentlich Frauen an der Uni arbeiten?
    Ich war diese Art Fragen gewohnt, und wenn wieder Besuch aus dem Ausland anstand, stellte ich mich darauf ein, mit einem gequälten Lächeln auf den Lippen die immergleichen Antworten zu geben: Da war dann von der Republik die Rede, von den Reformen, die es gegeben hatte, vom Frauenwahlrecht, das man in der Türkei eher eingeführt hatte als in so manchem europäischen Land, und von den vierzig Prozent Frauenanteil unter den türkischen Hochschullehrern. Ferner berichtete ich, dass seit einem halben Jahrhundert kein Mensch mehr einen Fes tragen würde, dass die Männer nicht vier Ehefrauen hätten, dass die Türken keine Araber wären, dass es in Istanbul weder eine Wüste noch Kamele gäbe und dass man sich im Winter dort den Hintern abfrieren würde. Und während ich diese Sätze abspulte, fluchte ich innerlich: Du Blödsack, informier dich gefälligst, bevor du wegfährst!
    Dabei unterschlug ich jedoch, wie viele Frauen trotz aller neuen Gesetze noch immer von ihren Männern geschlagen wurden, und dass in der Osttürkei junge Mädchen auf Beschluss des Familienrates hin umgebracht werden konnten. Das waren Angelegenheiten, die meinen Nationalstolz verletzten. Und sie stellten ja auch nur einen Teil der Wahrheit dar.
    Es war für mich der mühsamste Teil meiner Arbeit, solche Gäste zu betreuen, mit ihnen durch den Großen Basar und durch die Blaue Moschee zu trotten und sie auf ihren Einkaufstouren zu begleiten, auf der Suche nach günstigen Lederjacken, nach Apfeltee, blauen Perlen und Lokum. Da es auf dem Arbeitsmarkt nicht rosig aussah, musste ich dumme Fragen aushalten, die Flirtversuche gesetzter Herren geflissentlich übergehen und mir beim Abschied am Flughafen, wo man sich herzte und umarmte, als sei man seit Jahren miteinander befreundet, eine Suada über die türkische Gastfreundschaft anhören.
    Jeder hat im Berufsleben seinen Ärger, und bei mir war es eben dieser. Wenn man einen Ex-Mann hat, der trotz Gerichtsbeschluss keinen Unterhalt zahlt, und einen vierzehnjährigen Sohn,für den man Schulgeld hinblättern muss und die gesamte Verantwortung trägt, versagt man sich eben Eskapaden.
    In aller Herrgottsfrühe aus dem Haus, im vollbesetzten Sammeltaxi zum verfluchten Arbeitsplatz, abends todmüde wieder heim, für einen Sohn, dem seine
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