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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann
Autoren: Richard Rötzer
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Prolog
     
    Dem Äußeren, ihrer Herkunft und ihres Standes nach hätten die beiden Männer, die sich kurz vor Mitternacht in dem feuchten, muffigen Kellergewölbe einfanden, kaum verschiedener sein können. Was sie dennoch verband, waren gefährliches Wissen über den jeweils anderen und der Vorsatz, Gottes Gerechtigkeit aus ihrer trägen Duldsamkeit aufzurütteln, indem sie sich anmaßten, an ihrer Statt zu rächen und zu strafen.
    Der Größere von beiden wirkte trotz des schweren, pelzbesetzten Mantels hager, und soweit die tief ins Gesicht gezogene Kapuze und das flackernde Licht dreier Kerzenstummel ein Urteil überhaupt zuließen, schien er auch der ältere von beiden und schon ein gutes Stück über der Lebensmitte zu sein. Er wirkte entschlossener und befehlsgewohnt und herrschte seinen unscheinbaren Begleiter an: »Hast du alle Utensilien besorgt, wie ich dir aufgetragen habe?«
    Erschreckt vom Widerhall im alten Gewölbe kam die Antwort beinahe flüsternd und mit leicht zittriger Stimme: »Ja, Herr, wie Ihr befohlen habt.«
    Der Vornehme verzog angewidert das Gesicht: »Du hast wieder getrunken! Dein Atem übertrifft noch den fauligen Modergeruch dieses Ortes.« Warum nur mußte ich mich dieser Kreatur bedienen. Wie tief bin ich gesunken. Ich muß mich seiner entledigen, sobald diese Sache zu einem Ende gekommen ist.
    »O nein! Nein, Herr – das heißt, einen… vielleicht auch zwei Becher Roten zum Nachtmahl, um die Unruhe und das Zucken in meinen Gliedern zu beruhigen. Immerhin mag Euer Vorhaben fürchterliche Folgen haben und ich bin, wie Ihr wohl wißt, nicht für mutige Taten geschaffen.« Dabei sank sein Kopf noch tiefer zwischen die gebeugten Schultern, was ihm irgendwie das Aussehen einer gekränkten Schildkröte verlieh. Gütiger Gott, ich hätte mich nie darauf einlassen dürfen. Er will nur Rache, und mein Lohn wird ewige Verdammnis sein. Ich muß fort! Doch wohin?
    »O ja!« schnaubte der andere verächtlich. »Das weiß ich wohl, daß du nicht den Weltenlauf veränderst. Doch reiß dich zusammen. Es war schließlich deine Idee, und du kannst jetzt nicht mehr zurück. Du steckst zu tief mit in dieser Sache. Und warst nicht du es, der vorgab, das ruchlose Verhalten des Frevlers zutiefst zu verabscheuen und der mich darin bestärkte, den Lauf der Gerechtigkeit zu beschleunigen?«
    »Ihr, Ihr habt ja recht«, stammelte die Schildkröte, »es ist nur, ich meine… die Kirche weiß hart zu strafen, insbesondere beim Vorwurf der Zauberei, und ich tauge nun einmal nicht zum Märtyrer.«
    »Und ebensowenig zum Heiligen«, spottete sein vornehmes Gegenüber. »Doch zeig nun, was du besorgt hast!«
    Ein paar rohe Bretter, die zwei leere Fässer überspannten, bildeten den Tisch, auf dem der ängstliche Gehilfe die Paraphernalien für den teuflischen Plan aufreihte, die er aus der Weite seines groben Wollmantels hervorkramte: Ein Stück Holzkohle und drei eisenschwarze Blutsteine, rechtschaffen angewandt ein probates Mittel gegen Blutungen, doch in der Umkehrung der Schwarzmagie der Blutgerinnung geradewegs abträglich; eine frisch geweihte Osterkerze und eine kleine Phiole geweihten Wassers, versetzt mit ein paar Tropfen Urin eines Gehenkten; drei gekrümmte, rostige Sargnägel vom Kirchhof der Minderbrüder und ein kleines braunes Säckchen, das sich zu bewegen schien.
    Als der Meister der bevorstehenden Zeremonie mit spitzen Fingern den Rand des Säckchens etwas lüpfte, glotzte ihn eine fette, giftige Kröte mit großen Kulleraugen an, was er lächelnd und befriedigt zur Kenntnis nahm.
    »Wir haben noch zu warten, bis der Türmer Mitternacht kündet«, entschied er. »Nutzen wir die Zeit zu innerer Sammlung, damit wir rechten Geistes sind, auf daß der Zauber seine Wirkung entfalte!«
    ***
    Der Chronist schrieb das Jahr 1319 seit der Geburt unseres Herrn, und die gottgewollte Ordnung des Abendlandes schien in Auflösung begriffen. Wo in früheren, besseren Zeiten ein jeder seinen Platz gekannt und der Bauer durch seiner Hände Arbeit für das Brot gesorgt, der Rittersmann seinen Schutz gewährleistet und der geistliche Stand das Seelenheil aller vermittelt hatte, da schien nunmehr ein jeder eifersüchtig auf seinen eigenen Vorteil bedacht zu sein. Immer mehr Bauern wollten der seit Evas Verderbtheit und Adams Schwäche auferlegten Mühsal entfliehen, verließen ihre Grundherren und Äcker und flohen in die aufstrebenden Städte, um im Schutze deren wehrhafter Mauern nach Jahr und Tag frei zu sein.
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