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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg
Autoren: Judith Lennox
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an zu Hause. Der Lärm auf dem Suk wurde von dem Hämmern in ihrem Kopf übertönt. Gefesselt wie die anderen, bewegte sie sich langsam voran. Manchmal sang sie leise vor sich hin, dann wieder führte sie Selbstgespräche – und immer wieder glaubte sie, die Stimme ihres Vaters zu hören. Jedesmal schaute sie sich um, doch sie konnte ihn nicht entdecken.
    Auf dem Bedestan, dem Sklavenmarkt, wurden die Gefangenen von Interessenten eingehend untersucht, ihre Münder geöffnet und wie bei Pferden die Zähne inspiziert. Serafina nahm das alles gar nicht richtig wahr. Ihre Gedanken waren auf ihren Vater konzentriert. Papa würde bald kommen und sein kleines Mädchen holen. Papa hatte sie noch nie im Stich gelassen, noch nie enttäuscht. Sie unterhielt sich auf lateinisch mit ihm, als sei er bei ihr, auf französisch – und manchmal auch in der Vielvölkersprache des Bagno. Doch als ein potentieller Käufer sie besonders gründlich untersuchte, beschimpfte sie ihn in der prallen Sprache der Marseiller Docks.
    Daß sie laut gesprochen hatte, wurde ihr erst klar, als ein Schlag ins Gesicht sie zu Boden streckte. Sie lag im Staub und fragte sich gerade, ob sie wohl noch alle Zähne im Mund habe, als sie ein dröhnendes Lachen hörte, und eine Stimme rief: »Wenn du nicht böse enden willst, wirst du deine Zunge zähmen müssen, Kleines.«
    Sie rappelte sich auf und suchte in der umstehenden Menge das zu der Stimme gehörende Gesicht. Der Mann war hochgewachsen und breitschultrig. Furchen zogen sich durch die dunkle Haut, die durch das Lachen noch vertieft wurden. Er trug ein wallendes Gewand und einen bunten Turban – aber er hatte blaue Augen!
    »Kleines – diese Herren schätzen es nicht, mit Kanalratten verglichen zu werden –, es wäre fatal für dich, wenn einer von ihnen dich verstünde.« Seine Stimme klang tadelnd, doch seine Augen blitzten vor Vergnügen. Er verbeugte sich vor dem Mann, der sie geschlagen hatte, streckte Serafina die Hand hin und zog sie aus ihrer Kauerstellung hoch. Sie hatte den rostigen Geschmack von Blut auf der Zunge, und ihr rechtes Auge begann bereits zuzuschwellen. Er schüttelte den Kopf. »Ich habe seit Jahren keine solchen Ausdrücke mehr gehört«, sagte er. »Seit ich Marseille verließ, um genau zu sein – und das liegt mehr als fünfundzwanzig Jahre zurück. Bei dir ist es ja wohl noch nicht so lange her, Kleines.«
    Serafina starrte auf den blutbefleckten Boden. »Drei Tage – vier …«, flüsterte sie, und dann fing sie an zu weinen – nicht nur, weil ihr das Sprechen weh tat, sondern weil sie sich nicht daran erinnern konnte, wann sie ihre Heimatstadt verlassen hatte.
    »Ich bin in Marseille geboren worden«, lächelte der Franzose.
    Ihr Käufer sprach in fließendem, schnellem Französisch auf sie ein, während sie neben ihm hertrottete, doch sie verstand von Sekunde zu Sekunde weniger: Sie näherte sich mit großen Schritten einem Zustand, in dem nicht einmal mehr ihr Stolz sie aufrecht halten würde. Sie hatten den Bedestan unmittelbar nach der Abwicklung des Geschäftes – dem Kauf von Serafina und zwei Frauen, die bei ihm in der Küche arbeiten sollten – verlassen. Vor dem westlichen Stadttor, dem Bab-el-Oued, wartete auf einem Platz, auf dem zwischen Holzstößen rußverschmierte Holzkohlenverkäufer ihre Ware anpriesen, eine Gruppe von Soldaten und Sklaven. Trotz der Hitze zitternd, betrachtete Serafina die Häuser der Reichen mit ihren üppigen Gärten und plätschernden Springbrunnen. Ihr neuer Herr schickte sich an, auf sein Pferd zu steigen, hielt inne, schaute auf sie hinunter und runzelte die Stirn. »Komm, Kleines«, sagte er dann.
    Unfähig, sich zu rühren, harrte sie apathisch weiterer Schläge – aber anstatt die Hand gegen sie zu erheben, ließ er sein Pferd los, trat zu ihr, legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht der Sonne entgegen.
    »Du bist krank, Kleines«, stellte er fest.
    Wieder begann sie zu weinen – doch diesmal verachtete sie sich nicht mehr dafür.
    »Kleines«, vorsichtig berührte er ihre rotfleckige Stirn, »du hast die Masern.«
    Er hob sie hoch und setzte sie vor sich auf den Sattel.
    Früher – in einem anderen Leben, als er noch Christ gewesen war – hatte Serafinas neuer Herr nach einem Medizinstudium in Padua seine Kunst in den vornehmen Häusern von Florenz, in den Elendsvierteln von Neapel und auf den Docks seiner Geburtsstadt Marseille ausgeübt. Als sein Schiff auf dem Weg von Neapel nach Malta von
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