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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg
Autoren: Judith Lennox
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Schiffe überfielen, beabsichtigen bestimmt, deinen Vater gegen Lösegeld freizulassen. Er muß in Algier im Gefängnis sein, wie du es ebenfalls sein solltest.«
    Sie sah ihn verständnislos an, und so erklärte Kara Ali ihr, daß ein reicher Gefangener für die Korsaren ebensoviel wert sei wie ein Goldschatz, einen solchen Fang würde man nicht auf einer Galeere verkommen oder in den Straßen von Algier als Sklaven sterben lassen, sondern an seine Familie verkaufen. »Wenn sie gewußt hätten, daß du aus gutem Hause stammst, hätte ich dich niemals kaufen können. Wenn ich das nächste Mal nach Algier komme, werde ich Nachforschungen über den Verbleib deines Vaters anstellen und sehen, was ich für ihn tun kann. Und bis dahin«, er schaute auf das Buch hinunter, »wirst du für mich schreiben.«
    Von diesem Abend an spürte Serafina wieder Hoffnung in sich aufkeimen. Tagsüber arbeitete sie nach wie vor in der Küche, doch abends half sie ihrem Herrn. Sie las ihm vor, sie schrieb für ihn, er diktierte ihr komplizierte Rezepturen für Heiltränke, sie lernte die Elemente kennen, die drei chemischen Grundsätze, den Archaeus – das paracelsische geistige Urprinzip des Lebens – und den Vulcanus. Sie erfuhr vom Stein der Weisen, diesem Wunderding, das angeblich Metall in Gold verwandelte. Oft, wenn ihr Federkiel noch nach Mitternacht über das Papier kratzte und dies und das Brausen der Öfen die einzigen Geräusche im Universum zu sein schienen, erwartete Serafina immer noch, einen Jin zu sehen – doch sie hatte nicht mehr soviel Angst davor. Überhaupt war sie nicht mehr so voller Furcht – sie hatte sich einen Plan für ihre Verbannung zurechtgelegt, an dessen Ende die Freiheit lag. Ihr Herr würde eine bestimmte Zeit nach Algier brauchen, eine bestimmte Zeit, um ihren Vater zu finden – und dann würden sie nach Frankreich zurückkehren und Marseille niemals, niemals wieder verlassen …
    Und dann kam der Ramadan: Einen Monat lang fasteten alle im Haus bei Tag und schlemmten bei Nacht. Unmittelbar danach brachen der Arzt und sein Gefolge auf, um durch die Wüste zu reiten, durch die Serafina vor Monaten hierhergekommen war.
    Jeden Abend stand sie im Innenhof und schaute zu den Sternen hinauf, die, wie Kara Ali ihr erklärt hatte, auch über Marseille strahlten und dem Menschen die Zukunft offenbaren könnten, wenn er den Schlüssel zu ihrem Geheimnis fände.
    Auch am Abend von Kara Alis Rückkehr stand sie dort. Die Nacht war sehr kalt, und Serafina hatte sich eine Stola um die Schultern gelegt. Als sie die Reiter kommen hörte, wurde sie zwischen Furcht und Neugier hin und her gerissen. Wie erstarrt blieb sie stehen.
    Der Arzt kam auf sie zu. »Serafina!« Sein Gesicht war staubbedeckt. »Gehen wir ein paar Schritte, Kleines.«
    Gehorsam folgte sie ihm aus dem Hof. Das Haus war von weitläufigen Gärten umgeben – die Flüsse, die von den Bergen zum Meer flossen, waren für ein Bewässerungssystem angezapft worden. Dattelpalmen, Zitronenbäume und Alpenveilchen gediehen prächtig in der künstlichen Oase. Kara Ali und Serafina gingen langsam auf eine Gruppe von Eukalyptus- und Olivenbäumen zu. Die krummen Äste und silbrigen Blätter wurden vom Mondlicht nachgezeichnet. Serafina war noch nie hiergewesen – und deshalb hatte sie auch nie den kleinen Grabstein gesehen, der unter den Bäumen stand.
    »Hier liegt meine Tochter«, sagte Kara Ali leise. »Ihr Name war Badr-al-Dujja. Das bedeutet ›Nächtlicher Vollmond‹. Sie war zehn Jahre alt, als sie an einem Fieber starb. Ich wandte alle mir zu Gebote stehenden Mittel an, doch ich konnte sie nicht retten. Es war Allahs Wille, sie sterben zu lassen.«
    Serafina schaute zu ihm auf und dann wieder auf den unscheinbaren Stein hinunter, und ihr Herz krampfte sich zusammen. Sie ahnte, was ihr Herr ihr gleich sagen würde. Sie hatte sich nicht getäuscht. »Es war auch Gottes Wille, deinen Vater zu sich zu nehmen, Kleines. Ich habe mich in Algier umgehört und erfahren, daß er kurz nach eurer Ankunft dort gestorben ist. Er bekam ein Fieber. Das kommt häufig vor, wenn Menschen die Hitze und die Ernährung nicht gewöhnt sind. Aber er hat nicht lange leiden müssen – der Tod kam schnell …«
    Seine Stimme verwehte. Serafina hörte das Rascheln der Blätter, das leise Singen des Windes. Sie sah ihren Vater am Eßtisch in ihrem Haus in Marseille, am Bug der Gabrielle – und am Strand einer unbekannten Insel, wo ihm ein Kreuz in die Fußsohle gebrannt
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