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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg
Autoren: Judith Lennox
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noch immer schwindlig. Venezianische Galeeren kannte sie aus Marseille, sie waren nichts Neues für sie. Sie ließ sich wieder in die Kissen sinken und versuchte zu schlafen.
    Als sie sich später zurückerinnerte, erschien es ihr unfaßbar, daß sie diese letzten Augenblicke der Freiheit gedöst hatte. Etwas – jemand – hätte sie warnen, aus ihrer Trägheit reißen müssen.
    Es war der Ruf des Zahlmeisters, der sie schließlich aufstörte und wie alle anderen zur Reling stürzen ließ. Drei weitere Galeeren steuerten aus dem Schutz der Inseln auf die Guardi-Schiffe zu. Der Löwe von San Marco war verschwunden: An den Masten leuchtete die Mondsichel des Islam! Berber-Korsaren von der Küste Nordafrikas, türkische Piraten, die ihre christlichen Gefangenen versklavten, die Männer in Galeeren steckten und die Frauen in Harems! Selbst Serafina hatte bereits Greuelgeschichten über ihre Grausamkeiten gehört. Die Guardi-Schiffe hatten keine Chance zu entkommen, und sie hatten auch keine Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, denn die Korsaren hatten Positionen eingenommen, in denen die französischen Geschütze sie nicht treffen würden.
    Niemand sprach in diesen endlosen, entsetzlichen Augenblicken mit Serafina, niemand beachtete sie. Hilflos und schweigend beobachtete sie die Zerstörung ihrer Zukunft. Die Besatzung lief kopflos durcheinander. Franco Guardi brüllte den Befehl, die Kanonen feuerbereit zu machen und die Gabrielle breitseits zu den türkischen Schiffen zu bringen.
    Die Rundschiffe wurden als erste geentert, und die Hoffnung, daß die Korsaren sich nur der Ladung bemächtigen würden, erlosch sehr bald. Menschen waren für sie ebenso wertvoll wie Stoffe, das türkische Reich war durch christliche Fronarbeit hochgekommen und wurde durch sie aufrechterhalten.
    Serafina hatte ihre Seekrankheit völlig vergessen. Atemlos sah sie zu, wie zwei der feindlichen Galeeren auf die Gabrielle zukamen und ihre Kanonen abfeuerten. Zwei Männer sanken blutüberströmt nicht weit von ihr auf die Planken. Sie stand wie angewurzelt. Das Hämmern hinter ihren Schläfen spielte eine gespenstische Begleitmusik zu dem Schauspiel, dessen Zeuge sie war. Es erschien ihr unwirklich, erinnerte sie an Aufführungen, die sie auf den Marktplätzen von Marseille gesehen hatte: Da wurden Drachen enthauptet, Ungeheuer erlegt. Dies geschah nicht wirklich – es konnte nicht Wirklichkeit sein! Unablässig zischten türkische Pfeile durch die Luft. Die getroffenen Seeleute fielen um wie Stoffpuppen.
    Beißender Pulverdampf lag in der Luft. Die Mondsicheln auf den Piratensegeln sahen aus wie jene, die sie auf das Mieder ihres Verlobungskleides gestickt hatte, das jetzt in ihrer Kabine in einer Kiste lag. Wo war ihr Vater? Sie konnte ihn vor lauter Rauch nicht sehen, doch sie war sicher, daß er bald zu ihr kommen würde. Dann könnte ihr nichts mehr passieren.
    Die Türken bereiteten sich zum Entern vor. Ihre losen weißen Gewänder flatterten im Wind, die Klingen ihrer Krummschwerter fingen das Sonnenlicht ein. Plötzlich hörte sie über die Schreie und das Stöhnen und das Rauschen der Wellen hinweg die Stimme ihres Vaters – und dann stand er neben ihr. Franco Guardis gutgeschnittenes Gesicht war rauchgeschwärzt, und es drückte Verzweiflung aus. Zum ersten Mal fühlte Serafina Furcht in sich aufsteigen. Er umfaßte ihre Hände so fest, daß die zarten Knochen knackten, und beschwor sie: »Sag, daß du erst sieben bist, Petite! Erst sieben!«
    Seine Panik erschreckte sie mehr als der Kanonendonner und die Toten um sie herum. Warum sollte sie ein falsches Alter angeben? Sie war doch schon zehn – fast erwachsen. Doch sie nickte gehorsam, und ihr Vater ließ ihre Hände los. Später begriff sie, daß er sie vor einem Leben im Harem hatte bewahren wollen.
    Als die Feinde die Gabrielle rammten, verlor Serafina den Halt und fiel zwischen ihre Seidenkissen. Ihr Vater war verschwunden, aber das war ihr ganz recht, denn sein Zustand hatte ihr Angst gemacht. Sie rappelte sich auf und begann, die Kissen zu sortieren. Sie war schon immer ein sehr ordentliches Kind gewesen. Die blauen hierhin, die roten dorthin, die orangefarbenen in die Ecke, Quasten entwirren, die Seide glattstreichen, damit sie wieder schimmerte, wie es Guardi-Seide zukam. Plötzlich hörte sie eine Stimme hinter sich, drehte sich um und sah sich einem bärtigen Mann mit einem Turban auf dem Kopf gegenüber. Neben ihm stand ihr Vater. Sollte sie aufstehen und einen Knicks
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